Mandanteninformation für
Steuerrecht Privatvermögen



Jahreswechsel 2021/2022


  • 1. Unterhaltsleistungen: Anhebung des Höchstbetrags

    Auch der Höchstbetrag für den Abzug von Unterhaltsleistungen wird angehoben, da sich dieser ebenfalls der Höhe nach am steuerlichen Existenzminimum orientiert.


    Das ändert sich ab 1.1.2022

    Im Zuge der Erhöhung des Grundfreibetrags steigt auch der Unterhaltshöchstbetrag.

    Jahr 2022

    Höchstbetrag Unterhaltsleistungen 9.984 EUR

    Erhöhung gegenüber Vorjahr 288 EUR



Dezember 2021


  • Doppelte Besteuerung von Altersrenten: BFH hält an Berechnungsmethode fest

    Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der bisherigen Berechnungsmethode zur Überprüfung einer doppelten Besteuerung von Altersrenten. Keine geeignete Methode zur Berechnung einer evtl. doppelten Besteuerung stellt der Vergleich des relativen Anteils von aus versteuerten Beiträgen erdienten Renten-Entgeltpunkten und dem gesetzlich angeordneten Steuerfreistellungsanteil der Rente dar.


    Hintergrund

    Die Angestellte A wurde im April 2018 64 Jahre alt und bezieht seit August 2018 eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Finanzamt besteuerte die Rente für 2019 in der Weise, dass er vom Jahresbetrag (31.944 EUR) den steuerfreien Teil der Rente (7.667 EUR = 24 %) und den Werbungskosten-Pauschbetrag (102 EUR) abzog.

    Mit ihrem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gegen den Einkommensteuer-Bescheid 2019 und den Vorauszahlungsbescheid für die Folgejahre machte A die doppelte Besteuerung ihrer Rente geltend. Die von ihr erdienten Renten-Entgeltpunkte beruhten zu 43,17 % auf versteuerten Beiträgen. Dieser Wert übersteigt die gesetzlich angeordnete Steuerfreistellung ihrer Rentenzuflüsse von 24 %. Das Finanzgericht wies den Antrag ab.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof wies die Beschwerde als unbegründet zurück.

    Eine unzulässige doppelte Besteuerung liegt vor, wenn die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen.

    Die Summe der steuerunbelastet zufließenden (voraussichtlichen) Rentenbezüge ist so zu berechnen, dass der steuerfreie Teil der Rente mit der durchschnittlichen statistischen Lebenserwartung des Steuerpflichtigen nach der im Zeitpunkt des Renteneintritts letztverfügbaren Sterbetafel multipliziert wird. Legt man dies zugrunde, greifen die rechtlichen Einwendungen der Antragstellerin nicht durch.

    Es ist nicht zu beanstanden, reale oder nominelle Wertsteigerungen der Rentenbeiträge erstmals steuerlich zu erfassen. Das gilt nicht nur für die endgültige Ausgestaltung der nachgelagerten Besteuerung, sondern auch für die Übergangsregelung.

    Die von der A befürwortete alternative Berechnung der doppelten Besteuerung anhand eines Vergleichs des relativen Anteils von aus versteuerten Beiträgen erdienten Renten-Entgeltpunkten und dem gesetzlichen Steuerfreistellungsanteil der Rente überzeugt nicht.

    Dagegen spricht, dass der Sonderausgabenabzug nur an die Beiträge, nicht aber an den Umrechnungswert anknüpft. Die Abhängigkeit des Rentenanspruchs von der Höhe der Beitragsleistungen wird durch die Berechnung der Entgeltpunkte nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

    Die Berechnung der Antragstellerin geht davon aus, dass jede Rentenzahlung in einen steuerpflichtigen und in einen steuerfreien Anteil zerfällt und daher in dem Umfang doppelt besteuert wird, in dem die steuerfreie Quote unter derjenigen der aus versteuerten Beiträgen erdienten Renten-Entgeltpunkte bleibt (hier: 43,17 %). Durch das Konzept der nachgelagerten Besteuerung werden jedoch dem Grunde nach sämtliche Rentenzuflüsse in der Auszahlungsphase als steuerbar qualifiziert. Die anteilige Steuerbefreiung in der Übergangsphase berücksichtigt lediglich, dass nur ein betragsmäßig begrenzter Sonderausgabenabzug in Anspruch genommen werden konnte.


  • Gerichtlicher Vergleich als rückwirkendes Ereignis?

    Bestandskräftige Steuerbescheide können nur unter strengen Voraussetzungen geändert werden, z. B. wenn ein rückwirkendes Ereignis vorliegt. Die Erledigung eines Basisrentenvertrags durch einen gerichtlichen Vergleich stellt ein solches dar.


    Hintergrund

    Die Klägerin schloss im Jahr 2010 einen sog. Rürup-Rentenvertrag ab. In den Jahren 2010 bis 2016 machte sie die an die Versicherung gezahlten Beiträge als beschränkt abziehbare Sonderausgaben geltend. Im Jahr 2017 schloss die Klägerin vor dem Zivilgericht mit der Versicherungsgesellschaft einen gerichtlichen Vergleich ab, nach dem sie von der Versicherung einen Betrag von 20.000 EUR erhalten sollte und damit sämtliche weiteren Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis erledigt sind. Die Versicherung teilte dies dem Finanzamt mit. Das Finanzamt änderte hierauf die Steuerfestsetzungen zur Einkommensteuer 2013 bis 2016, da die Versicherungsbeiträge nicht mehr als beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben in Betracht kamen. Das Finanzamt war der Ansicht, dass ein rückwirkendes Ereignis vorlag. Gegen diese Änderungen wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage.


    Entscheidung

    Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht entschied, dass das Finanzamt berechtigt war, die Änderungsbescheide zu erlassen. Das Finanzamt hat einen Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Dieses war hier der Fall. Denn im Jahr 2018 war mit Abschluss des gerichtlichen Vergleichs die wirtschaftliche Belastung durch die Beitragszahlungen weggefallen. Damit war klar, dass die Zahlungen nicht zum Aufbau einer Altersversorgung dienen würden. Dieses Ereignis war rückwirkend eingetreten, da sich der Vergleich in der Weise ausgewirkt hat, dass die ursprünglich zutreffende Einkommensteuerfestsetzung nachträglich rechtswidrig geworden war. Der ursprünglich zutreffend gewährte Sonderausgabenabzug für den Basisrentenvertrag war damit rückwirkend weggefallen. Dies rechtfertigte eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzungen der Jahre 2013 bis 2016.



November 2021


  • Erschließungsbeitrag im Straßenbau: Keine begünstigte Handwerkerleistung

    Die Erschließung einer öffentlichen Straße stellt keine begünstigte Handwerkerleistung i.S.d. § 35a EStG dar. Denn die Erschließung einer öffentlichen Straße steht nicht im räumlich-funktionalen Zusammenhang zum Haushalt des Steuerpflichtigen.


    Hintergrund

    Das Eigenheim der Eheleute lag bisher an einer unbefestigten Sandstraße. Im Jahr 2015 wurden sie von der Gemeinde wegen der erstmaligen Herstellung einer asphaltierten Straße mit Vorauszahlungsbescheid zur Finanzierung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands herangezogen. Von dem Betrag i. H. v. 3.000 EUR machten sie den darin enthaltenen Lohnkostenanteil mit geschätzt 50 % als begünstigte Handwerkerleistungen nach § 35a Abs. 3 EStG geltend.

    Das Finanzamt und auch das Finanzgericht lehnten dies ab. Der Bezug der Leistungen zum Haushalt war nicht gegeben.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof schließt sich den Argumenten von Finanzamt und Finanzgericht an, denn es fehlt an einer "im Haushalt" erbrachten Handwerkerleistung. Der allgemeine Straßenbau kommt nicht nur den einzelnen Grundstückseigentümern, sondern allen Nutzern zugute.

    Auch Handwerkerleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, beispielsweise öffentli-chem Grund erbracht werden, können begünstigt sein. Es muss sich dabei allerdings um Leistungen handeln, die in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der Haushalt des Steuerpflichtigen an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen wird.

    Im Gegensatz zu Arbeiten an der individuellen Grundstückszufahrt ab der Abzweigung von der eigentlichen Straße sind Maßnahmen an der Straße nicht begünstigt. Denn sie sind nicht grundstücks- und damit nicht haushaltsbezogen. Es fehlt an einem räumlich-funktionalen Zusammenhang der Leistung mit dem Haushalt des einzelnen Grundstückseigentümers. Dass der Straßenbau auch für den einzelnen Grundstückseigentümer "wirtschaftlich vorteilhaft" ist, ist insoweit unerheblich. Die Abrechnung anhand der Grundstücksfläche und einem Nutzungsfaktor ändert an der fehlenden räumlich-funktionalen Beziehung zum Haushalt nichts. Denn diese Berechnung dient lediglich der Verteilung der Kosten auf die Beitrags-pflichtigen und führt nicht dazu, dass der einzelne Anlieger nur für das vor seinem Grundstück verlaufende Straßenstück zahlt.


  • Gewährung von Kindergeld für ein im Nordteil von Zypern studierendes Kind?

    Studiert ein Kind im nördlichen Teil der Republik Zypern, können die Eltern kein Kindergeld beanspruchen. Denn hierbei handelt es sich nicht um einen EU-Mitgliedstaat.


    Hintergrund

    Die Klägerin beantragte Kindergeld für ihre Tochter E für den Zeitraum Januar 2019 bis Januar 2020. E studierte im Nordteil von Zypern. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab.

    Das Finanzgericht wies die anschließende Klage ab, da E im Streitzeitraum weder einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland noch einen im Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) gehabt ha-be.

    Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision. Sie macht u.a. geltend, dass die Frage, ob auch das Territorium der Türkischen Republik (Nordzypern) ein EU-Mitgliedstaat ist, grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert.


    Entscheidung

    Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Der Bundesfinanzhof wies diese als unbegründet zurück.

    Der Kindergeldanspruch setzt voraus, dass das Kind entweder im Inland oder in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

    Schon aus dem Wortlaut "Mitgliedstaat" ergibt sich, dass der Beitritt des Staates zur EU vorausgesetzt wird und es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht allein auf einen territorialen Aspekt ankommt. Entscheidend für die Bestimmung als EU-Mitgliedstaat ist nicht allein, ob das Gebiet völkerrechtlich dem Gebiet der EU zugeordnet werden kann. Im Bereich der völkerrechtlich nicht anerkannten Türkischen Republik findet EU-Recht keine Anwendung, solange die Regierung der Republik Zypern in diesem Gebiet keine tatsächliche Kontrolle ausübt. Solange die Republik Zypern Hoheitsakte in Nordzypern und damit auch EU-Recht nicht durchsetzen kann, gilt der nördliche Teil der Insel Zyperns nicht als EU-Mitgliedstaat. Damit bestand für die Tochter kein Anspruch auf Kindergeld.


  • Kindergeld und Freibeträge: Günstigerprüfung bei Steuerermäßigungen

    Leben die Eltern dauerhaft getrennt, kann die Übertragung des Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf nicht allein auf den Antrag eines Eltern-teils gestützt werden.


    Hintergrund

    Der Kläger erzielte im Jahr 2015 Entschädigungen, die aufgrund des Abgeordnetenstatuts des Europäi-schen Parlamentes gezahlt wurden. Auf diesen Betrag erhob die Europäische Union eine Gemeinschaftssteuer. Der Sohn des Klägers wohnt seit 2010 bei der Mutter, die das Kindergeld bezieht. Die Eltern sind mittlerweile geschieden. Den Kinderfreibetrag und den Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag) nahm antragsgemäß der Kläger in Höhe der auf beide Elternteile entfallenden Beträge in Anspruch.

    Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2015 ergab die vom Finanzamt vorgenommene Günstigerprüfung, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes durch den Kindergeldanspruch vollständig bewirkt worden war. Im Einkommensteuerbescheid 2015 erfolgte deshalb kein Abzug der Kind bedingten Freibeträge.

    Das Finanzgericht gab der Klage statt. Es ging davon aus, dass die Günstigerprüfung ohne Berücksichtigung der anzurechnenden EU-Steuer, der sonstigen Steuerermäßigungen und der Hinzurechnung des Kindergeldes erfolgen muss.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Das Finanzgericht hat keine hinreichenden Tatsachenfeststellungen zu der Frage getroffen, ob der Kläger zu Recht den Kinderfreibetrag und den BEA-Freibetrag der Kindsmutter in Anspruch genommen hat.

    Bei verheirateten, aber dauernd getrenntlebenden Elternteilen kann die Übertragung des Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf von einem auf den anderen Elternteil nicht allein auf den Antrag eines Elternteils gestützt werden.

    Die Übertragung des Kinderfreibetrags scheidet aus, wenn der Elternteil, dessen Freibetrag auf den an-deren Elternteil übertragen werden soll, seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen ist.

    Die Übertragung des BEA-Freibetrags scheidet aus, wenn das Kind bereits volljährig ist oder bei dem Elternteil, dessen Freibetrag auf den anderen Elternteil übertragen werden soll, gemeldet ist.

    Bei nicht zusammenveranlagten Elternteilen ist für die Günstigerprüfung dem Anspruch auf Kindergeld die Differenz zwischen der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen ohne Abzug der Freibeträge und der Steuer nach dem Grundtarif auf das Einkommen nach Abzug der Freibeträge gegenüberzustellen.

    Führt die Vergleichsrechnung zu dem Ergebnis, dass die Freibetragsgewährung für den Steuerpflichtigen günstiger ist, ist die Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs erst nach Anwendung der Steuerermäßigungsvorschriften durchzuführen, mit der Folge, dass sich aus dem hinzugerechneten Kindergeldanspruch bei Anwendung der Steuerermäßigungsvorschriften kein zusätzliches Verrechnungspotenzial ergibt.


  • Kindergeld: Wann beginnt ein Studium, wann endet es?

    Ein Studium beginnt erst, wenn Ausbildungsmaßnahmen durchgeführt werden, und nicht schon mit der Bewerbung für dieses Studium. Ein Studium endet, wenn alle erforderlichen Prüfungsleistungen erbracht und das Prüfungsergebnis bekannt gegeben worden sind. Das kann auch online geschehen.


    Hintergrund

    Die Klägerin ist die Mutter ihrer Tochter A. Diese war ab März 2015 an einer Hochschule in einem Masterstudiengang eingeschrieben. Nachdem ihr zunächst der erfolgreiche Abschluss mündlich mitgeteilt worden war, stellte die Hochschule den Abschluss und die Abschlussnoten Ende Oktober 2016 online. Die Zeugnisse holte A Ende November 2016 persönlich im Prüfungsamt ab.

    Ab April 2017 war A für ein weiteres Bachelorstudium an einer technischen Universität eingeschrieben, für das sie sich im März 2017 beworben hatte.

    Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab November 2016 bis Februar 2017 auf.

    Die Klage der Mutter vor dem Finanzgericht wurde zurückgewiesen, da von November 2016 bis Februar 2017 kein Anspruch auf Kindergeld bestand.


    Entscheidung

    Die Revision hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Tochter A im Streit-zeitraum weder wegen einer bestehenden Berufsausbildung noch wegen einer Übergangszeit zwischen 2 Ausbildungsabschnitten kindergeldrechtlich berücksichtigt werden kann.

    Ein Hochschulstudium beginnt noch nicht mit der Bewerbung für dieses Studium. Die Bewerbung um einen Ausbildungsplatz ist der Ausbildung selbst nicht gleichzusetzen. Denn zu diesem Zeitpunkt werden noch keine ernsthaften und nachhaltigen Ausbildungsmaßnahmen durchgeführt.

    Die Beendigung eines ernsthaft betriebenen und erfolgreich durchgeführten Hochschulstudiums setzt grundsätzlich zum einen voraus, dass das Kind die letzte nach der einschlägigen Prüfungsordnung erforderliche Prüfungsleistung erfolgreich erbracht hat. Zum anderen müssen dem Kind sämtliche Prüfungsergebnisse bekannt gegeben worden sein. Die Bekanntgabe erfordert regelmäßig, dass das Kind entweder eine schriftliche Bestätigung über den erfolgreichen Abschluss und die erzielten Abschlussnoten erhalten hat oder es muss jedenfalls objektiv in der Lage gewesen sein, sich selbst eine solche schriftliche Bestätigung über ein Online-Portal der Hochschule erstellen zu können. Die mündliche Mitteilung der Prüfungsergebnisse ist regelmäßig nicht ausreichend.

    Im vorliegenden Fall wurden der Abschluss und die Abschlussnoten im Masterstudiengang Ende Oktober 2016 online gestellt. Somit hatte A zu diesem Zeitpunkt objektiv die Möglichkeit, eine schriftliche Bestätigung über das Erreichen des Abschlusses und die Abschlussnoten auszudrucken.

    Das danach aufgenommene Bachelorstudium begann erst im April 2017, als Ausbildungsmaßnahmen tatsächlich stattfanden, und damit noch nicht mit der im März 2017 erfolgten Bewerbung. Die Voraussetzungen für eine Übergangszeit lagen nicht vor. Die Zeit zwischen den Ausbildungsabschnitten umfasste die vollen Monate November 2016 bis März 2017 und damit nicht maximal 4, sondern 5 Kalendermonate.


  • Wann der Träger einer Privatschule nicht mehr gemeinnützig ist

    Sind die Schulgebühren einer Privatschule so hoch, dass trotz Stipendienangebots die Schülerschaft sich nicht mehr als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt, kann die Gemeinnützigkeit aberkannt werden. Denn dann fördert diese Schule mit dem Schulbetrieb nicht mehr die Allgemeinheit.


    Hintergrund

    Die Klägerin, eine GmbH, verfolgt nach ihrer Satzung den Zweck der Förderung der Erziehung, der Volks- und Berufsbildung sowie der internationalen Gesinnung und des Völkerverständigungsgedankens. Dieser Satzungszweck soll insbesondere durch die Errichtung und den Betrieb einer internationalen Schule mit Englisch als erster Unterrichtssprache als Ergänzungsschule in privater Trägerschaft verwirklicht werden. Dabei wird nach der Satzung bei mindestens 25 % der Schüler keine Sonderung nach den Besitzverhältnis-sen der Eltern und der Privatschulgesetze vorgenommen. Mit Bescheid aus dem Jahr 2014 stellte das Finanzamt fest, dass die Satzung der Klägerin die satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§ 51, 59, 60 und 61 AO erfüllt.

    Die Klägerin übernahm ab dem Jahr 2014 als neue Trägergesellschaft die X-Schule. Die vorherige Träger-gesellschaft der Schule war als allgemeinbildende internationale Ergänzungsschule anerkannt. Die Anerkennung der vorherigen Trägergesellschaft ging auf die Klägerin über.

    Die Klägerin erhob Schulgebühren zwischen ca. 11.000 EUR und 17.000 EUR pro Jahr zzgl. Verwaltungsgebühren von jährlich 400 EUR. Dazu kamen noch einmalig anfallende Einschreibegebühren i. H. v. 3.000 EUR bis 7.000 EUR.

    Begabten Schülern aus Familien mit bestimmten Einkommen bot die Klägerin Stipendien an. Voraussetzung war eine hinreichende akademische Qualifikation des Schülers, die die Klägerin anhand schriftlicher Unterlagen (Zeugnisse, Empfehlungen etc.) sowie mit einem Aufnahmetest überprüfte.

    Das Finanzamt versagte die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Die Klage wurde vom Finanzgericht ab-gewiesen.


    Entscheidung

    Auch die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.

    Die Klägerin ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht als gemeinnützig anzuerkennen. Die Tätigkeit der Klägerin ist nicht darauf gerichtet, die Allgemeinheit zu fördern, weil sie aufgrund der Höhe des Schulgeldes und des konkreten Stipendienangebots einen Kreis von Schülern fördert, der nicht mehr die Allgemeinheit repräsentiert.

    Von einer Förderung der Allgemeinheit kann nur dann ausgegangen werden, wenn im Grundsatz jedermann freien Zutritt zur Körperschaft hat, die Mitglieder sich dementsprechend zumindest als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellen. Gemeinnützigkeitsschädlich sind daher Verpflichtungen zur Zahlung von laufenden Beiträgen, Aufnahmebeiträgen und Umlagen, deren Höhe eine Repräsentation der Allgemeinheit im Mitgliederbestand nicht mehr gewährleistet.

    Bei einer Stipendiaten Quote von weniger als 10 % waren Kinder aus Haushalten, bei denen von vornherein auszuschließen ist, dass sie die Kosten für den Schulbesuch aus eigener Kraft tragen können, schon aufgrund des Verhältnisses von Schulgebühren und Einkommensverteilung in jedem Fall bereits um etwa das 5-Fache unterrepräsentiert.



Oktober 2021


  • Elektronische Klageerhebung: Was muss in der Rechtsbehelfsbelehrung stehen?

    Weist die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Vorschrift zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten gem. § 52a FGO hin, genügt dies. Denn dadurch kann sich der Rechtsuchende bezüglich der Wahl dieser Übermittlungsform nähere Informationen verschaffen.


    Hintergrund

    Die Familienkasse erließ einen Bescheid über die Aufhebung von Kindergeld und forderte zu viel ausgezahlte Kindergeld vom Kläger zurück. Den Einspruch des Klägers wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 26.8.2019 zurück. In der Rechtsbehelfsbelehrung wies die Familienkasse u. a. darauf hin, dass gegen die Entscheidung Klage beim Finanzgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument eingereicht werden kann. Die Voraussetzung zur elektronischen Einreichung der Klage seien in § 52a FGO geregelt. Weiterhin verwies die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Internetseite des Finanzgerichts.

    Am 28.11.2019 erhob der Kläger per Telefax Klage und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führte der Kläger aus, dass er dem Finanzgericht am 26.9.2019 eine einfache E-Mail an die in dessen Internetseite genannte DE-Mail-Adresse mit einer als Anhang beigefügten Klageschrift übermittelt hatte. Ein Eingang seiner E-Mail nebst Anhang konnte jedoch nicht festgestellt werden. Der Kläger hält seine Klage nicht für verfristet, weil die Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung fehlerhaft war. Denn der Rechtssuchende wurde über die Klageerhebung per E-Mail nur unvollständig belehrt.

    Entscheidung

    Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht verwarf sie als unzulässig, weil sie außerhalb der Monatsfrist und damit verspätet eingereicht worden war. Die 1-monatige Klagefrist beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt wurde. Ist Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, ist die Einlegung des Rechtsbehelfs grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zulässig.

    Im vorliegenden Fall war die Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig. Zum einen war der Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung von Rechtsbehelfen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht erforderlich. Zum anderen wies die Rechtsbehelfsbelehrung an mehreren Stellen unmissverständlich auf die Möglichkeit einer elektronischen Klageerhebung hin. Weitere Erläuterungen zu den Modalitäten einer elektronischen Klageerhebung waren nicht erforderlich. Vielmehr genügte der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Vorschrift zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten gem. § 52a FGO, um den Rechtsuchenden in die Lage zu versetzen, sich bei der Wahl dieser Übermittlungsform nähere Informationen zu verschaffen.

    Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kam auch deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nicht glaubhaft machen konnte, dass ihn kein Verschulden an der Fristversäumnis traf.

  • Kindergeld: Wann der schwerbehinderte erwachsene Bruder als Pflegekind gilt

    Ein Pflegekindschaftsverhältnis bedarf der Feststellung eines "familienähnlichen Bands". Das gilt auch dann, wenn tatsächlich verwandtschaftliche Beziehungen gegeben sind und damit ein "familiäres Band" besteht.


    Hintergrund

    Die Klägerin war die Schwester eines im Jahr 2018 verstorbenen schwerbehinderten Mannes mit einem GdB von 100. In seinem Schwerbehindertenausweis waren u. a. die Merkzeichen "G" und "H" eingetragen. Darüber hinaus war vermerkt, dass die Notwendigkeit ständiger Begleitung bestand. Die Klägerin übernahm nach dem Tod der Mutter die Betreuung ihres Bruders und wurde auch zu seiner gesetzlichen Betreuerin bestellt.

    Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld für ihren Bruder wurde von der Familienkasse abgelehnt.

    Danach hatte das Finanzgericht die Familienkasse verurteilt, der Klägerin Kindergeld ab Juni 2017 zu bewilligen. Der Bundesfinanzhof hatte das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Rechtssache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang war nun zu klären, ob die Behinderung so schwer war, dass der Zustand des Bruders dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach. Auch waren Feststellungen zu treffen, die auf eine Erziehungsfunktion der Klägerin und ein Autoritätsverhältnis zu ihr schließen ließen.


    Entscheidung

    Die Klage hatte im zweiten Rechtsgang Erfolg. Das Finanzgericht entschied, dass zwischen der Klägerin und ihrem schwerbehinderten Bruder, dessen geistiger Zustand dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach, ein familienähnliches Band bestanden hat. Der Schwester stand daher Kindergeld für ihren Bruder als Pflegekind zu.

    Der Bruder war in den Haushalt der Klägerin aufgenommen und dieser bildete den Mittelpunkt der gemeinsamen Lebensinteressen. Die Aufenthalte des Bruders in der Wohnung der Klägerin stellten keine bloßen Besuche dar, sondern waren von einer selbstverständlichen Regelmäßigkeit geprägt. Eine den Besuchscharakter überschreitende Dauer lag bei einem Aufenthalt von insgesamt mehr als 3 Monaten pro Jahr vor.

    Der Umstand, dass es mittlerweile nicht mehr dem wissenschaftlichen Standard im Umgang mit behinderten erwachsenen Menschen entspricht, diese wie Kinder "zu erziehen", stand hier der Annahme eines "familienähnlichen Bands" nicht entgegen.

  • Schenkung und anschließender Verkauf eines Grundstücks: Gestaltungsmissbrauch?

    Wird ein Grundstück unentgeltlich auf die Kinder übertragen und verkaufen diese das Grundstück sofort weiter, liegt grundsätzlich kein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor. Die Berücksichtigung des Veräußerungsgewinns richtet sich bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen.


    Hintergrund

    A erwarb im Jahr 2011 ein Grundstück. Im Jahr 2012 schenkte sie es ihren beiden volljährigen Kindern jeweils zur Hälfte. Am selben Tag verkauften die Kinder das Grundstück zu einem höheren Preis an Z. Die Verkaufsverhandlungen hatte allein A geführt.

    A ging davon aus, dass sie keinen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft erzielt hatte. Das Finanzamt sah dagegen in der Schenkung an die Kinder einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und rechnete deshalb den Veräußerungsgewinn der A zu.

    Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass das Veräußerungsgeschäft bei A zu erfassen ist. Die nicht angemessene Gestaltung führte zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof sah dies anders und kam zu dem Ergebnis, dass § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift ist, die § 42 AO vorgeht.

    A hat das im Jahr 2011 angeschaffte Grundstück nicht veräußert, sondern 2012 durch Schenkung unentgeltlich auf die Kinder übertragen. Die unentgeltliche Übertragung ist keine Veräußerung i. S. v. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Da A somit das Grundstück nicht veräußert hat, ist bei ihr auch kein Veräußerungsgewinn entstanden.

    § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG regelt die Entstehung des Veräußerungsgewinns bei vorangegangenem unentgeltlichen Erwerb. Es handelt sich um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift i. S. v. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO. Vom Rechtsvorgänger verwirklichte Besteuerungsmerkmale werden dem unentgeltlichen Rechtsnachfolger persönlich zugerechnet. Damit wird das private Veräußerungsgeschäft bei demjenigen besteuert, der die Veräußerung vorgenommen und den Veräußerungserlös tatsächlich erhalten hat. Die Vorschrift dient der Verhinderung von Missbräuchen. Es soll verhindert werden, dass ein Wirtschaftsgut durch unentgeltliche Übertragung (mangels Veräußerung) aus der Steuerverhaftung ausscheidet und beim Rechtsnachfolger (mangels Anschaffung) nicht steuerverstrickt wird. Durch die unentgeltliche Übertragung auf einen Dritten könnte ohne die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG die Besteuerung als privates Veräußerungsgeschäft umgangen werden.

    Im vorliegenden Fall ist mit der unentgeltlichen Übertragung des Grundstücks und der anschließenden Veräußerung der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt. Damit ist die Anwendung von § 42 AO ausgeschlossen.

    Das Finanzgericht hat keine Umstände festgestellt, aufgrund derer die Veräußerung ausnahmsweise nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden könnte. Insbesondere liegt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs kein Gestaltungsmissbrauch vor. Denn die vertraglichen Regelungen enthalten keine unangemessenen Vereinbarungen. Die Kinder konnten über das geschenkte Grundstück frei verfügen. Sie waren insbesondere nicht vertraglich gebunden, an Erwerber zu veräußern, mit denen ausschließlich die A zuvor Verkaufsverhandlungen geführt hatte. Sie waren auch nicht verpflichtet, den Veräußerungserlös an A abzuführen.

    Auch dass der Veräußerungsgewinn bei den Kindern niedriger besteuert wird als bei A, führt nicht zur Annahme eines Missbrauchs. Denn es ist nicht verwehrt, die rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine geringere steuerliche Belastung ergibt. Das Bestreben, Steuern zu sparen, macht für sich allein eine Gestaltung nicht unangemessen.

  • Steuererstattung bzw. -nachzahlung: Warum der Zinssatz von 6 % verfassungswidrig ist

    Steuernachforderungen und -erstattungen werden mit 6 % pro Jahr verzinst. Das ist zu viel, entschied das Bundesverfassungsgericht – zumindest für Zeiträume ab 2014.


    Hintergrund

    Nach § 233a AO wird bei der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt. Der Zinslauf beginnt erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten.

    Die Vollverzinsung betrifft sowohl Steuernachzahlungen als auch Steuererstattungen.


    Entscheidung

    Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird. Hintergrund hierfür ist das seit Jahren anhaltende niedrige Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt, das in diametralem Gegensatz zur 6-prozentigen Jahresverzinsung durch die Finanzverwaltung steht.

    Diese Ungleichbehandlung sieht das Gericht für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume als noch als verfassungsgemäß an. Dies gilt jedoch nicht mehr für Verzinsungszeiträume ab 2014. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasst dabei auch die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen.



    Weitergeltung der bisherigen gesetzlichen Regelung

    Das Bundesverfassungsgericht differenziert insoweit, als es das bisherige Recht für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume für weiterhin anwendbar erklärt wird. Für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, kommt dagegen eine Weitergeltung des bisherigen Rechts dagegen nicht mehr in Betracht. Hier wird der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.


    Rechtsfolgen für die Besteuerungspraxis

    Das Bundesverfassungsgericht hat sich nur zur Vollverzinsung nach § 233a AO geäußert, nicht jedoch zu Stundungszinsen, Hinterziehungszinsen, Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge und Aussetzungszinsen. Da jedoch das Zinsniveau in allen Verzinsungsfällen einheitlich 0,5 % pro Monat beträgt, wird man die Entscheidungsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts auf alle Zinsarten anwenden können.

    3 Fallgruppen sind zu unterscheiden:

    • Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2013 und früher fallen, sind von der Verfassungswidrigkeit nicht betroffen, d. h. hier ist der Zinssatz von 0,5 % pro Monat nicht zu beanstanden. Steuerpflichtige, die hier Einspruch eingelegt haben, müssen mit einer Zurückweisung ihres Einspruchs rechnen. Im Falle einer Aussetzung der Vollziehung wird der ausgesetzte Betrag gezahlt werden müssen.

    • Für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2014 bis einschließlich 2018 fallen, bleibt das aktuelle Recht weiterhin anwendbar. Dies bedeutet, dass auch in diesen Fällen eingelegte Einsprüche abgewiesen werden und ausgesetzte Beträge gezahlt werden müssen. Soweit die Zinsfestsetzung vorläufig erfolgt ist, wird die Finanzverwaltung die Vorläufigkeit aufheben.

    • Lediglich für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, muss der Gesetzgeber bis zum 31.7.2022 "nachbessern" und eine verfassungskonforme gesetzliche Neuregelung schaffen. Von dieser Neuregelung wird jedoch nur derjenige profitieren, der gegen den Zinsbescheid Einspruch eingelegt hat oder dessen Zinsbescheid vorläufig ergangen ist. Formell und materiell bestandskräftige Zinsbescheide ohne Vorläufigkeitsvermerk können aufgrund der anstehenden gesetzlichen Neuregelung nicht mehr geändert werden.


  • Studium neben Vollerwerbstätigkeit: Liegt noch eine einheitliche Erstausbildung vor?

    Für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung ist der Gesamtplan des Kindes, sein Berufsziel erst durch eine weitere Ausbildung zu erreichen, nicht das allein maßgebliche Kriterium. Insbesondere bei einem Studium neben einer Vollerwerbstätigkeit ist darüber hinaus zu prüfen, ob die Berufstätigkeit oder die Ausbildung im Vordergrund steht.


    Hintergrund

    Der Vater V erhielt Kindergeld für seinen Sohn M. M beendete im Juni 2013 seine Ausbildung zum Bankkaufmann und trat eine Vollerwerbsstelle an. Die Familienkasse hob daraufhin die Kindergeldfestsetzung für Juli 2013 bis Januar 2014 auf und forderte das Kindergeld zurück. Im Februar 2014 begann M einen berufsbegleitenden Studiengang zum Bankfachwirt/Bankkolleg, der bis Juni 2016 andauerte. Die Zulassung zum Studium erfolgte bereits im Dezember 2013.

    Im Dezember 2017 beantragte V rückwirkend Kindergeld für den Zeitraum ab der Beendigung der Ausbildung zum Bankkaufmann im Juli 2013 bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres im Februar 2015. M hatte mit der Ausbildung zum Bankkaufmann sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht. Die Ausbildung zum Bankkaufmann und die folgenden Studiengänge (Bankfachwirt/Bankkolleg) waren aufeinander abgestimmt und stellten eine einheitliche Berufsausbildung dar.

    Das Finanzgericht entschied, dass der Gesamtplan des Kindes, das Ende der Berufsausbildung erst durch den Abschluss "Bankfachwirt" zu erreichen, die Vollzeiterwerbstätigkeit überlagerte.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof widerspricht der Auffassung des Finanzgerichts, dass der Gesamtplan des Kindes das maßgebliche Kriterium bei der Prüfung einer erstmaligen Berufsausbildung ist. Die Erstausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist enger auszulegen als die Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Für die Abgrenzung einer einheitliche Erstausbildung (mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit) von einer Erwerbstätigkeit (mit daneben berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) sind die bestehenden Rechtsprechungsgrundsätze fortzuentwickeln und zu präzisieren.

    An einer einheitlichen Erstausbildung kann es fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine (auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete) Nebensache darstellen, ist anhand einer Gesamtwürdigung zu entscheiden.

    Nichtzutreffend ist die Würdigung des Finanzgerichts, dass der berufsbegleitende Studiengang "Bankfachwirt" zusammen mit der Ausbildung zum Bankkaufmann noch eine einheitliche Erstausbildung darstellte. Der Gesamtplan des Kindes, die Ausbildung endgültig erst mit Abschluss des Bankbetriebswirts als beendet anzusehen, kann nicht das allein maßgebliche Kriterium für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung sein und alle anderen Kriterien überlagern. Eine einheitliche Erstausbildung kann daher durch das angestrebte Berufsziel des Kindes nicht begründet werden. Entscheidend sind die vom Bundesfinanzhof entwickelten Kriterien, ob die Berufstätigkeit oder die Ausbildung im Vordergrund steht.


September 2021


  • Kindergeld für im Ausland lebende Eltern mit inländischen Verpachtungseinkünften?

    Erzielt ein Steuerpflichtiger aus der Verpachtung einer inländischen Immobilie oder eines inländischen Betriebs inländische Einkünfte, hat er Anspruch auf Kindergeld, auch wenn er im Ausland wohnt. Das gilt zumindest für die Monate, in denen das Pachtverhältnis besteht und der Steuerpflichtige als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.


    Hintergrund

    Die Mutter A lebte seit 1967 im Inland und betrieb hier ein Hotel. Sie erhielt über viele Jahre Kindergeld für ihre Tochter T. Ab Oktober 2015 verpachtete sie das Hotel und erzielte daraus gewerbliche Einkünfte. Ab Mai 2016 wohnte sie in Italien. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung für T ab Juni 2016 auf.

    Das Finanzgericht gab der Klage statt. A stand dann ein Kindergeldanspruch zu, da die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht vorlagen. A hatte Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Inland erzielt. Diese Einkünfte sind monatsbezogen zu beurteilen. Einkünfte in Italien hatte A nicht bezogen. Dies wurde durch eine Bescheinigung der italienischen Steuerbehörden bestätigt. Auch war die erforderliche Identifikationsnummer der A vorhanden.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Erzielung von Einkünften aus gewerblicher Verpachtung während ihrer gesamten Dauer eine Kindergeldberechtigung begründet, wenn der Anspruchsteller nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.

    Ob die Einkünfte aus der grenzüberschreitenden Verpachtung des Hotels von der Familienkasse zutreffend als inländische gewerbliche Einkünfte zu qualifizieren oder ob stattdessen inländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung anzunehmen sind, kann dahinstehen. Denn dem Einkommensteuer-Bescheid kommt für den Kindergeldanspruch Bindungswirkung zu, soweit er nicht auf falschen Angaben des Steuerpflichtigen beruht, wofür im vorliegenden Fall nichts ersichtlich ist.

    Gewinneinkünfte werden in dem Monat erzielt, in dem die wirtschaftliche Tätigkeit im Inland entfaltet wird. Bei einer gewerblichen Betriebsverpachtung besteht die wirtschaftliche Tätigkeit in der Gebrauchsüberlassung. Der Inlandsbezug wird bereits durch die inländische Belegenheit des überlassenen Vermögens hergestellt. Entsprechendes gilt, wenn nicht gewerbliche Einkünfte, sondern inländische Einkünfte aus Vermietung oder Verpachtung erzielt werden. Da somit bereits die Überlassung des Hotels die Einkünfte zu "inländischen" macht, berechtigen sie zum Kindergeldbezug in allen Monaten, in denen das Miet- oder Pachtverhältnis besteht und eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG erfolgt. Es kommt somit weder darauf an, ob A in den jeweiligen Monaten aktive Tätigkeiten entfaltet hat (z. B. Instandhaltungsmaßnahmen, Verwaltungsaufgaben) noch auf den Eingang von Zahlungen.




August 2021


  • Wie sind Bonuszahlungen einer privaten Krankenkasse steuerlich zu berücksichtigen?

    Leistet eine private Krankenkasse Bonuszahlungen, sind diese als Beitragserstattungen zu erfassen und die abzugsfähigen Sonderausgaben entsprechend zu mindern. Das gilt zumindest dann, wenn der Bonus unabhängig davon gezahlt wird, ob dem Versicherungsnehmer finanzieller Gesundheitsaufwand entstanden ist oder nicht.


    Hintergrund

    Die Kläger sind verheiratet und privat kranken- und pflegeversichert. Die beiden minderjährigen Kinder sind über den Ehemann M versichert. Von ihrer Krankenversicherung erhielten die Ehefrau F für sich und M für die Kinder in Jahren 2014 bis 2016 Boni von jeweils 360 EUR jährlich, somit insgesamt 1.080 EUR.

    Die Krankenversicherung verrechnete die Boni wie vertraglich vereinbart mit den Gesundheitsaufwendungen, für die eine Erstattung beantragt wurde. In den Jahren 2014 und 2016 geschah dies jeweils in voller Höhe (1.080 EUR) und im Jahr 2015 i. H. v. 922 EUR.

    Die Versicherung meldete die Boni gegenüber der Finanzverwaltung für jedes Jahr i. H. v. 984 EUR als Beitragserstattung (= 360 EUR x 3 x 91,36 % Anteil Basiskrankenversicherungsschutz). Das Finanzamt minderte dementsprechend den Sonderausgabenabzug für Krankenversicherungsbeiträge.

    Die Klage gegen die Minderung wurde vom Finanzgericht abgewiesen. Denn die Boni standen nach Ansicht der Finanzrichter in unmittelbarem Zusammenhang mit den Beiträgen zur Erlangung des Basiskrankenversicherungsschutzes, die hierdurch gemindert wurden.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof folgte dem Urteil des Finanzgerichts und entschied ebenfalls, dass die Boni Beitragserstattungen darstellen, die den Sonderausgabenabzug mindern.

    Die privaten Kranken- und Pflegeversicherungen sind verpflichtet, die im Beitragsjahr sowohl geleisteten als auch erstatteten Beiträge per Datensatz der Finanzverwaltung zu übermitteln, wenn der Steuerpflichtige in die Datenübermittlung eingewilligt hat. Dieses Verfahren begründet jedoch keine materiell-rechtliche Bindungswirkung für die Steuerfestsetzung. Vielmehr haben die Finanzämter selbst zu prüfen, wie die übermittelten Werte rechtlich einzuordnen sind.

    Beiträge "zu" einer Krankenversicherung sind nur solche Zahlungen, die zumindest im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stehen. Dies ist z. B. für einen vom Steuerpflichtigen vereinbarten und getragenen Selbstbehalt nicht der Fall, da die Krankenversicherung insoweit nicht das Risiko übernimmt, für künftige Schadensfälle einzutreten.

    Der Steuerpflichtige muss durch den Sonderausgabenabzug tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet sein. Werden Beiträge erstattet, mindert die Erstattung jedoch im Jahr des Zuflusses den Sonderausgabenabzug. Voraussetzung ist allerdings, dass die Zahlung des Versicherungsunternehmens nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt als Beitragserstattung und nicht als eine hiervon losgelöste Leistung zu werten ist. Durch die Prämie ändert sich die Gegenleistung, die vom Mitglied zu erbringen ist, um den vereinbarten Krankenversicherungsschutz zu erhalten. Im Ergebnis wird der Beitrag des Mitglieds und damit dessen wirtschaftliche Belastung reduziert.

    Dagegen ist eine Bonuszahlung für gesundheitsbewusstes Verhalten nicht als Beitragserstattung zu qualifizieren, soweit dadurch konkret Aufwand des Steuerpflichtigen für gesundheitsbezogene Maßnahmen ausgeglichen wird. Derartige Boni stehen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Beiträgen zur Erlangung des Basiskrankenversicherungsschutzes, sondern sind als Erstattung der vom Versicherten getragenen Aufwendungen und damit als eine nicht den Sonderausgabenabzug beeinflussende Leistung anzusehen. Diese Boni mindern daher nicht die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge, sondern lediglich den zusätzlichen Gesundheitsaufwand des Steuerpflichtigen.

    Davon ausgehend wies der Bundesfinanzhof die Revision zurück. Die erhaltenen Boni der Kläger sind nicht vergleichbar mit den Boni, die als Anreiz für ein gesundheitsbewusstes Verhalten gezahlt werden. Denn die vorliegende Bonusregelung zielt im Gegenteil darauf ab, zu einem kostenbewussten Verhalten anzuregen. Für einen vereinbarten Selbstbehalt hat der Bundesfinanzhof bereits entschieden, dass die hieraus entstehenden Aufwendungen nicht als abziehbare Beiträge i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG zu werten sind. Nichts anderes gilt, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein garantierter Bonus Grund dafür ist, dass der Versicherungsnehmer Gesundheitsaufwendungen bis zur Bonushöhe wirtschaftlich selbst zu tragen hat.



Juli 2021


  • Besteuerung von Renten: Bundesfinanzhof entwickelt Berechnungsformel

    Für die Ermittlung einer doppelten Besteuerung von Renten hat der Bundesfinanzhof nun erstmals genaue Berechnungsparameter festgelegt. Danach liegt eine doppelte Besteuerung nicht vor, wenn die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen. Der Grundfreibetrag und andere Beträge, die bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Rentners abziehbar sind oder steuerfrei gestellt werden, sind in die Vergleichsrechnung nicht einzubeziehen.


    Hintergrund

    Der Kläger S war bis 2007 als Steuerberater berufstätig. Er war zunächst als Angestellter in der Rentenversicherung Pflichtmitglied und später als Selbstständiger freiwillig weiterversichert. Die Beiträge zahlte er größtenteils aus eigenem Einkommen und konnte sie nur begrenzt als Sonderausgaben abziehen. Im Jahr 2008 wurde seine Rente mit einem Besteuerungsanteil von 54 % berücksichtigt.

    S und seine Ehefrau E waren der Ansicht, dass aufgrund der hohen Zahlungen aus bereits versteuertem Einkommen der Ansatz von 54 % zu einer unzulässigen doppelten Besteuerung der Rente führte.

    Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg. Nach Berechnung der Finanzrichter überstiegen die voraussichtlich steuerfreien Rentenbeträge die aus versteuertem Einkommen gezahlten Beträge.


    Entscheidung

    Die Revision scheiterte ebenfalls. Der Bundesfinanzhof bestätigte das Finanzgerichtsurteil im Ergebnis und entschied, dass eine doppelte Besteuerung nicht vorliegt, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten Rentenversicherungsbeiträge.

    Die Finanzverwaltung ging bisher davon aus, dass der Grundfreibetrag bei der Berechnung der steuerfreien Rente einberechnet werden muss. Das hat zur Folge, dass sich der steuerfreie Rentenbetrag erheblich erhöht und eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Diese Auffassung weist der Bundesfinanzhof entschieden zurück. Seiner Ansicht nach ist der Grundfreibetrag nicht zu berücksichtigen. Darüber hinaus legt der Bundesfinanzhof erstmals konkrete Berechnungsparameter für die Ermittlung einer doppelten Besteuerung fest.


    I. Ermittlung des steuerfreien Rentenanteils 

    Steuerfrei zufließende Rentenbeträge

    Der für S selbst ermittelte Betrag ergibt sich, wenn der jährliche steuerfreie Teilbetrag der Rente mit der im Zeitpunkt des Renteneintritts zu erwartenden durchschnittlichen statistischen weiteren Lebenserwartung des S nach der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Sterbetafel multipliziert wird. Maßgebend ist die zuletzt verfügbare Sterbetafel im Zeitpunkt des Renteneintritts.


    Einbeziehung der künftigen Hinterbliebenenrente

    Auch die mögliche künftige Hinterbliebenenrente der E hat ihre Grundlage in dem Versicherungsverhältnis des S zur Deutschen Rentenversicherung. Die Anwartschaft wurde durch die von S geleisteten Beiträge mit erworben.

    Bei Rentnern, die keine Hinterbliebenen hinterlassen, die rentenberechtigt sind (Witwe/Witwer, Waise), wird kein Rentenfreibetrag aus einer etwaigen Hinterbliebenenrente angesetzt. Sie gelangen daher bereits früher in den Bereich einer rechnerischen Doppelbesteuerung als solche Rentner, bei denen nach dem statistisch zu erwartenden Verlauf voraussichtlich eine Rente an Hinterbliebene gezahlt werden wird. Diese rechnerische Wirkung ist sachgerecht, da in beiden Fällen dieselben Rentenversicherungsbeiträge gezahlt wurden, aus einem Versicherungsverhältnis mit zu versorgenden Hinterbliebenen aber insgesamt voraussichtlich höhere Rentenleistungen zu erwarten sind als bei einem – sonst gleichen – Versicherungsverhältnis ohne Hinterbliebene.


    Werbungskosten-Pauschbetrag, Grundfreibetrag und weitere Abzugsbeträge sind keine steuerfreien Rententeilbeträge

    Der Werbungskostenabzug dient der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und kann daher nicht zugleich der Vermeidung einer doppelten Besteuerung dienen. Gleiches gilt für den Werbungskosten-Pauschbetrag.

    Der Grundfreibetrag dient der Verschonung des Existenzminimums. Folglich kann er nicht nochmals herangezogen werden, um die steuerliche Belastung einer speziellen Einkunftsart zu reduzieren oder als Puffer zur Abfederung verfassungsrechtlich unzulässiger doppelter Steuerzugriffe zu dienen.

    Die als Sonderausgaben abziehbaren Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Rentner sind ebenfalls nicht in die Vergleichsrechnung einzubeziehen. Auch diese Abzugsmöglichkeit dient der verfassungsrechtlich gebotenen einkommensteuerrechtlichen Verschonung des Existenzminimums. Der Sonderausgabenabzug kann nicht nochmals zur Kompensation des aus versteuertem Einkommen geleisteten Teils der früheren Altersvorsorgeaufwendungen berücksichtigt werden.

    Aus denselben Gründen sind auch die Beitragsanteile des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung nicht in die Vergleichsrechnung einzubeziehen.

    Der Sonderausgaben-Pauschbetrag ist ebenfalls nicht als "steuerfreier Rententeilbetrag" anzusehen. Er dient der pauschalen Abgeltung bestimmter Sonderausgaben, aber nicht der Vermeidung einer doppelten Besteuerung von Altersbezügen und Altersvorsorgeaufwendungen.


    II. Aus versteuertem Einkommen geleistete Altersvorsorgeaufwendungen

    Für die Ermittlung der in Veranlagungszeiträumen bis 2004 aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Altersvorsorgeaufwendungen sind die Beiträge zu den verschiedenen Sparten der gesetzlichen Sozialversicherung (einschließlich der ihnen gleichgestellten Teile der Vorsorgeaufwendungen nicht gesetzlich Versicherter) gleichrangig zu berücksichtigen. Alle anderen nach damaliger Rechtslage dem Grunde nach abziehbaren Vorsorgeaufwendungen werden im Rahmen der Prüfung, in welchem Umfang Altersvorsorgeaufwendungen in früheren Veranlagungszeiträumen als aus versteuertem Einkommen geleistet gelten, lediglich nachrangig berücksichtigt.

    Bei Zusammenveranlagung von Eheleuten, die jeweils eigene Vorsorgeaufwendungen getragen haben, werden die gemeinsamen Sonderausgaben-Höchstbeträge im Verhältnis der vorrangig zu berücksichtigenden Vorsorgeaufwendungen beider Eheleute aufgeteilt.

    Für die in Veranlagungszeiträumen ab 2005 geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen sind diejenigen Teile aus versteuertem Einkommen erbracht, die den Höchstbetrag in den ab 2005 geltenden Fassungen überschritten haben.

    Die so vorgenommene Berechnung ist nicht um die Anteile der in den jeweiligen Veranlagungszeiträumen von S geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu modifizieren, die kalkulatorisch nicht auf die Leistung von Alters- oder Hinterbliebenenrenten entfallen, sondern z.B. auf Reha-Maßnahmen.

    Der Bundesfinanzhof lehnt eine Differenzierung danach ab, ob tatsächlich eine Steuer festgesetzt wurde. Denn bei der Vergleichsrechnung ist stets auf die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abzustellen. Ferner verhindert der Verzicht auf diese Differenzierung eine weitere Verkomplizierung der Vergleichsrechnung.


    III. Ergebnis des Streitfalls

    Die Berechnung des Bundesfinanzhofs ergibt, dass S und E Altersvorsorgeaufwendungen von 133.000 EUR aus versteuertem Einkommen geleistet haben. Dem stehen voraussichtlich (höhere) steuerfreie Renten der gesetzlichen Rentenversicherung von 257.000 EUR gegenüber. Eine doppelte Besteuerung liegt daher nicht vor. Damit war die Revision zurückzuweisen.


  • Kindergeld: Wenn die Eltern in verschiedenen EU-Staaten leben

    Leben beide Elternteile in jeweils unterschiedlichen EU-Ländern, kann es bezüglich des Kindergeldes zu einem Zusammentreffen von Leistungsansprüchen kommen. Das gilt z.B. dann, wenn der im Inland lebende Elternteil dem deutschen Recht unterliegt und der andere Elternteil unter die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats fällt, dort aber selbst keinen Familienleistungsanspruch hat.


    Hintergrund

    Die Eltern der Tochter J sind polnische Staatsangehörige und mittlerweile geschieden. Die Mutter M wohnt in Deutschland, der Vater V in Polen. J wohnte zunächst in Deutschland und anschließend in Polen.

    Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldfestsetzung für J ab. Sie war der Ansicht, dass ein Anspruch auf deutsches Differenz-Kindergeld ausgeschlossen ist, da beide Elternteile weder eine Erwerbstätigkeit ausübten noch eine Rente bezogen und deshalb ein Anspruch auf Familienleistungen nur im Wohnsitzland des Kindes, also Polen bestand.

    Das Finanzgericht gab der Klage statt und entschied, dass V stehe kein vorrangiger Anspruch zustand. Bei Nichtbestehen eines polnischen Anspruchs besteht keine Anspruchskonkurrenz. Die Prioritätsregel nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO Nr. 883/2004 greift daher nicht ein, sodass für M der Anspruch nicht ausgeschlossen ist.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof widersprach dem Finanzgericht. Denn es ist auch zu prüfen, ob der im Inland lebenden M ein Anspruch in Polen zusteht. In diesem Fall würde eine Anspruchskonkurrenz i.S.v. Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 bestehen.

    M hatte einen Wohnsitz im Inland. J ist als leibliches Kind berücksichtigungsfähig. Sie hatte zunächst einen Wohnsitz im Inland und anschließend in Polen, also einem EU-Mitgliedstaat. Außerdem erfüllte sie auch die Berücksichtigungsvoraussetzungen für volljährige Kinder, da sie sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemühte und diese Ausbildung auch durchführte.

    M unterliegt den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Deutschland. V unterlag aufgrund seines Wohnsitzes den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Polen, da er keiner Erwerbstätigkeit nachging. Allerdings gilt für den Bereich der Familienleistungen die Sonderregelung des Art. 67 Satz 1 VO Nr. 883/2004. Danach hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.

    Diese Bestimmung betrifft sowohl Leistungen nach vorrangigen Regelungen als auch Leistungen eines nachrangig zuständigen Mitgliedstaats in Form von Differenzgeld. Demnach ist nicht nur zu fingieren, dass M in Polen wohnt, sondern auch, dass sie wie V unter die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Polen fällt.

    Sollte V nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit z.B. Kranken- oder Arbeitslosengeld bezogen haben, wäre die Zuständigkeit Polens durch eine Beschäftigung begründet. Damit wäre auch der Anspruch in Polen als durch die Beschäftigung ausgelöst anzusehen. Der Anspruch in Polen wäre dann gegenüber dem nur durch den Wohnort ausgelösten Anspruch in Deutschland vorrangig und ein Differenzkindergeldanspruch in Deutschland wäre ausgeschlossen. Wäre der Anspruch in Polen dagegen nur durch den Wohnort des V ausgelöst, wäre dieser nachrangig, soweit J ihren Wohnsitz in Deutschland hatte. Für die Zeit danach wäre dagegen der Anspruch in Polen vorrangig, da J in Polen wohnte. Ein Differenzkindergeldanspruch in Deutschland würde für diese Zeit ausscheiden.

    Zur entsprechenden Klärung des Sachverhalts verwies der Bundesfinanzhof die Sache an das Finanzgericht zurück.


  • Klageerhebung unter falschem Namen ist nicht zulässig

    Wer bei seiner Klage einen falschen Namen verwendet, muss damit rechnen, dass diese als unzulässig zurückgewiesen wird. Das gilt auch dann, wenn sich eine Klage, die von einer Person unter einem Falschnamen erhoben wurde, zweifelsfrei der Person zuordnen lässt, die den Falschnamen benutzt, und dass gerichtliche Schreiben der mit dem Falschnamen bezeichneten Person tatsächlich zugehen.


    Hintergrund

    Die Klägerin A bezog ab September 2015 unter dem Falschnamen A. P. als vermeintlich bangladeschische Staatsangehörige für 3 minderjährige Kinder Kindergeld. Sie hatte der Familienkasse den Verlust ihres Arbeitsplatzes nicht angezeigt und in der Folgezeit für sich und die 3 Kinder Leistungen nach dem SGB II bezogen. Dabei wurde das Kindergeld als Einkommen angerechnet. Als die Familienkasse von der fehlenden Erwerbstätigkeit der A erfuhr, hob sie im Jahr 2017 die Kindergeldfestsetzung ab Februar 2016 auf und forderte das für Februar 2016 bis September 2017 gezahlte Kindergeld i. H. v. 11.574 EUR von A zurück.

    Die Klage vor dem Finanzgericht hatte im Wesentlichen Erfolg. Das Finanzgericht verpflichtete die Familienkasse, den Kindergeldrückforderungsanspruch zu erlassen.

    In dem von der Familienkasse eingeleiteten Revisionsverfahren teilte A mit, dass sowohl ihr Name und Vorname als auch ihr Geburtsdatum und ihre Nationalität richtigzustellen sind. Sie heiße E. R. und stamme aus Indien. Auch die Personalien der Kinder müssten korrigiert werden.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und wies die Klage wegen Verwendung des Falschnamens als unzulässig ab.

    Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO müssen der Kläger und der Beklagte in der Klage bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um eine Sachentscheidungsvoraussetzung. Ob die Voraussetzungen für ein Sachurteil des Finanzgerichts vorlagen, hat der Bundesfinanzhof von Amts wegen zu prüfen. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen müssen spätestens am Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen. Fehlt eine Sachentscheidungsvoraussetzung, ist die Klage unzulässig und durch Prozessurteil abzuweisen.

    Auf welche Weise der Kläger zu bezeichnen ist, regelt das Gesetz nicht ausdrücklich. Die erforderlichen Angaben ergeben sich jedoch aus der Bedeutung der Klage für das finanzgerichtliche Verfahren. Mit der Klage gegen eine hoheitliche Maßnahme wird ein Verfahren in Gang gesetzt, an dem ein öffentliches Interesse besteht. Das Finanzgericht hat den Sachverhalt unter Heranziehung der Beteiligten aufzuklären. Die Bezeichnung der Beteiligten ist daher nicht nur für die zweifelsfreie Identifizierung der Prozessbeteiligten und die Fixierung des Prozessverhältnisses, sondern auch für die ordnungsgemäße Prozessführung von Bedeutung. Bei natürlichen Personen ist regelmäßig neben der Angabe der Adresse auch die des Familiennamens und des Vornamens erforderlich. Die Bezeichnung muss so bestimmt sein, dass jeder Zweifel an der Person des Klägers ausgeschlossen ist.

    Steht die wahre Identität eines Klägers wegen der Verwendung eines Falschnamens nicht fest, ist er nicht i. S. v. § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO bezeichnet. Da A über ihre Identität getäuscht hatte, war die zweifelsfreie Identifizierung der Person der Klägerin nicht möglich. Es genügt daher nicht, dass sich eine unter einem Falschnamen erhobene Klage zweifelsfrei einer Person zuordnen lässt und dass gerichtliche Schreiben dieser Person tatsächlich zugehen.

  • Unterhaltsaufwendungen an Lebensgefährten sind keine außergewöhnlichen Belastungen

    Hat der Lebensgefährte wegen des Bezugs von BAföG keinen Anspruch auf Sozialleistungen, sind Unterhaltsleistungen an diesen nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.


    Hintergrund

    A führte im Jahr 2014 mit seiner nichtehelichen Lebensgefährtin E einen gemeinsamen Haushalt. E befand sich im Studium und war an der Universität immatrikuliert. Sie bezog geringfügige Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Außerdem erhielt sie eine elternunabhängige Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).

    A machte für 2014 Unterhaltsaufwendungen für E in Höhe von 6.000 EUR nach § 33a EStG geltend. E sei als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Denn ihr stand wegen Unterhaltsleistungen des A keine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zu. Er trug den überwiegenden Teil ihrer Lebenshaltungskosten.

    Das Finanzamt berücksichtigte die Unterhaltsaufwendungen nicht.

    Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg, da A nach Ansicht der Finanzrichter nicht mit einem gesetzlich Unterhaltsverpflichteten nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG gleichgestellt werden kann. Denn E hatte nicht aufgrund der Unterhaltsleistungen des A keinen Anspruch auf Sozialleistungen, sondern wegen ihres im Rahmen des BAföG förderungsfähigen Studiums.


    Entscheidung

    Auch die Revision des A scheiterte. Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Aufwendungen des A nicht im Rahmen des § 33a Abs. 1 EStG zu berücksichtigen sind. Denn bei E handelt es sich weder um eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person noch um eine einer solchen gleichgestellte Person.

    A war gegenüber E vor der Eheschließung nicht zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet. Denn die Unterhaltspflicht trifft nur Ehegatten, Lebenspartner oder Verwandte in gerader Linie.

    E ist keine einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gleichgestellte Person. Ihr sind keine zum Unterhalt bestimmte inländische öffentliche Mittel mit Rücksicht auf etwaige Unterhaltsleistungen des A gekürzt worden. Zwar hatte E keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Das beruht jedoch nicht auf etwaigen Unterhaltsleistungen des A, sondern auf ihrem Bezug von Leistungen nach dem BAföG. Denn dadurch sind Ansprüche des "Auszubildenden" (hier E) auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe ausgeschlossen.

    Im Übrigen ist der Abzug von Unterhaltsaufwendungen aufgrund sittlicher Verpflichtung ausgeschlossen. Es sind lediglich diejenigen Personen gesetzlich Unterhaltsberechtigten gleichgestellt, deren Sozialleistungen "mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen des Steuerpflichtigen gekürzt werden".

    Damit werden "freiwillige" Unterhaltszahlungen nur dann wie zivilrechtlich geschuldete Zahlungen behandelt, wenn für den Leistenden eine vergleichbare Zwangslage wie bei einem gesetzlich Unterhaltsverpflichteten gegeben ist. Das ist nur der Fall, wenn gesetzlich unwiderlegbar vermutet wird, dass der Unterhalt durch eine andere Person sichergestellt ist, und deshalb zum Unterhalt bestimmte öffentliche Mittel gekürzt werden.

    Da E vorliegend wegen etwaiger Unterhaltsleistungen des A weder einen Anspruch auf Sozialleistungen verloren hat noch ein solcher deshalb gekürzt wurde, befand sich A folglich nicht in einer vergleichbaren Zwangslage wie der gesetzlich zum Unterhalt Verpflichtete.

  • Warum private Renten nicht doppelt besteuert werden

    Bei privaten Renten, also Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung, die lediglich mit dem Ertragsanteil besteuert werden, kann es systembedingt keine Doppelbesteuerung geben.


    Hintergrund

    Der Kläger Z war als Zahnarzt Pflichtmitglied eines berufsständischen Versorgungswerks, blieb allerdings freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er erhielt im Jahr 2009 von der Deutschen Rentenversicherung eine Altersrente und Zusatzleistungen aus der dortigen Höherversicherung. Zudem bezog er mehrere "Rürup"-Renten, ebenso zahlreiche Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten.

    Das Finanzamt setzte für die gesetzliche Altersrente einschließlich der Leistungen der Höherversicherung den sich nach der gesetzlichen Übergangsregelung ergebenden Besteuerungsanteil von 58 % an. 42 % der ausgezahlten Rente blieben steuerfrei. Im Hinblick auf die hohen Beitragsleistungen des Z in 2 Versorgungssysteme wandte das Finanzamt die sog. Öffnungsklausel an, sodass die Rente zumindest teilweise mit dem günstigeren Ertragsanteil versteuert werden kann. Die "Rürup"-Renten des Z wurden vom Finanzamt mit dem Besteuerungsanteil, die sonstigen privaten Leibrenten mit dem Ertragsanteil angesetzt.

    Der Kläger war der Ansicht, dass eine der "Rürup"-Renten und diverse Renten aus privaten Versicherungen doppelt besteuert werden, weil die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beiträge höher sind als der steuerfreie Teil der zu erwartenden Rentenzahlungen. Das Finanzgericht folgte dem nicht und wies die Klage ab.


    Entscheidung

    Die Steigerungsbeträge aus der Höherversicherung zusammen mit den Bezügen aus der regulären Altersrente der Deutschen Rentenversicherung Bund unterliegen der nachgelagerten Besteuerung. Für eine Besteuerung dieser Beträge mit dem Ertragsanteil besteht keine Rechtsgrundlage. Die Steigerungsbeträge aus der Höherversicherung zur gesetzlichen Altersrente des Z stellen steuerbare Einkünfte dar, wobei offenbleiben kann, ob es sich um eine Leibrente oder um andere Leistungen handelt.

    Die Bezüge aus der gesetzlichen Altersrente des Z einschließlich der Steigerungsbeträge aus der Höherversicherung unterlagen im Streitjahr der Besteuerung. Das Finanzgericht hat zu Unrecht entschieden, dass das Finanzamt die Öffnungsklausel anwenden konnte, da es an dem hierfür erforderlichen Antrag für das Streitjahr fehlte. Er ist weder ausdrücklich noch konkludent gestellt worden. Das Finanzamt hat daher die Einkommensteuer für das Streitjahr insoweit zu niedrig festgesetzt. Das wirkt sich im Streitfall zugunsten der Eheleute aus, da durch die teilweise Besteuerung der Bezüge aus der gesetzlichen Altersrente und der Steigerungsbeträge mit dem Ertragsanteil die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage für das Streitjahr herabgesetzt wurde.

    Die mangels Antrags zwingende nachgelagerte Besteuerung der gesetzlichen Altersrente einschließlich der Steigerungsbeträge aus der Höherversicherung abzüglich des individuellen Rentenfreibetrags nach Maßgabe der vom Bundesfinanzhof vertretenen Berechnungsgrundsätze und -parameter hat zwar eine doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkünften zur Folge, sodass jene Rente für das Streitjahr rechnerisch i. H. v. 42 EUR doppelt besteuert worden wäre. Diese verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässige doppelte Besteuerung liegt aber unterhalb der Steuerentlastung der Eheleute wegen der Z vom Finanzamt aufgedrängten Anwendung der Öffnungsklausel. Aufgrund der Saldierungspflicht des Senats ist eine Rechtsverletzung der Eheleute daher ausgeschlossen. Das Saldierungsgebot gilt auch im Revisionsverfahren.

    Die von Z bezogene "Rürup"-Rente war im Streitjahr keiner doppelten Besteuerung ausgesetzt. Der vom Kläger insoweit ermittelte Betrag von zuletzt 56 EUR ist den vom Finanzgericht getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen.

    Das Vorbringen des Klägers, dass das Finanzgericht zu Unrecht entschieden hat, dass regelmäßige Anpassungen der "Rürup"-Rente des Z in voller Höhe bei den Alterseinkünften des Z zu erfassen sind, greift nicht durch. Die Vollbesteuerung der Anpassungsbeträge hat bei der Prüfung einer doppelten Besteuerung keine unmittelbare Bedeutung. Verglichen werden nur die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beiträge mit den voraussichtlich steuerfrei zufließenden Rentenbezügen. Regelmäßige Rentenanpassungen sind dagegen den voll steuerbelasteten Bezügen zuzuordnen und werden daher nicht als Vergleichsparameter herangezogen. Der Umstand, dass die Anpassungen durch den gesetzlichen Besteuerungsanteil nicht zumindest teilweise steuerfrei belassen werden, kann somit nur mittelbar Grund dafür sein, dass im jeweiligen Einzelfall die Grenze einer unzulässigen doppelten Besteuerung betragsmäßig eher erreicht wird.

    Die vom Finanzgericht ermittelte doppelte Besteuerung von einigen der von Z im Streitjahr bezogenen Leibrenten aus privaten Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung erweist sich bereits vom systematischen Ansatz her als unzutreffend. Denn die Besteuerung mit dem Ertragsanteil beruht gerade auf dem Leitbild, dass der Rentenanspruch durch aus versteuertem Einkommen gezahlten Beiträgen erworben wird. Das Finanzamt hat jene Renten dem Grunde und der Höhe nach zutreffend mit dem Ertragsanteil besteuert. Der Rechtsfehler des Finanzgerichts, eine doppelte Besteuerung von neun dieser Renten festzustellen, war nicht entscheidungserheblich.

    Auch die Überschussbeteiligungen des Z aus mehreren privaten Leibrentenversicherungen neben den garantierten Renten sind mit den jeweiligen gesetzlichen Ertragsanteilen zu besteuern. Überschussbeteiligungen sind Bestandteil der Leibrente und mit dem maßgeblichen Ertragsanteil in Ansatz zu bringen. Unerheblich ist, dass die Überschussbeteiligungen - anders als der garantierte Teil der Leibrente - nicht mit hinreichender Gewissheit prognostizierbar sind.

  • Zur Nachrangigkeit des Kindergeldanspruchs in Deutschland

    Besteht ein Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat – hier Deutschland – ist den Eltern in Deutschland Kindergeld zu gewähren, auch wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Kindergeld-Anspruch im vorrangigen Staat – hier Polen – nicht erfüllt sind.


    Hintergrund

    Der Vater V ist polnischer Staatsbürger und verheiratet. Er hat einen Wohnsitz im Inland und war von Januar bis April 2015 nicht erwerbstätig.

    Der Sohn A lebt im Haushalt von V und seiner Ehefrau F in Polen. F war nicht erwerbstätig und hatte sich damit einverstanden erklärt, dass das Kindergeld an V gezahlt wird. Die Eheleute bezogen für A kein Kindergeld in Polen, da das Familieneinkommen die im Bewilligungszeitraum 1.11.2014 bis 31.10.2015 gültige Einkommensgrenze überstieg.

    Die deutsche Familienkasse zahlte zunächst Kindergeld für A. Im Jahr 2017 hob sie die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis April 2015 auf. Denn V hatte nur für die Zeiträume Juni bis Dezember 2014 und Mai bis Dezember 2015 Nachweise über die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit vorgelegt. Der Kindergeldanspruch war nach Ansicht der Familienkasse wegen fehlender steuerpflichtiger Erwerbstätigkeit und fehlenden Rentenbezugs beider Elternteile nach dem Wohnortprinzip ausgeschlossen.

    Das Finanzgericht gab der Klage statt, da der nationale Kindergeldanspruch unionsrechtlich nicht ausgeschlossen war.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof folgte dem Urteil des Finanzgerichts und entschied, dass V das deutsche Kindergeld in voller Höhe zustand. Der Anspruch auf deutsches Kindergeld war nicht durch Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen. Da kein Anspruch in Polen bestand und somit keine konkurrierenden Ansprüche gegeben waren, greift die Prioritätsregelung nicht ein.

    Der im Inland wohnende V erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für das deutsche Kindergeld für seinen in Polen lebenden minderjährigen Sohn A. A lebt in einem gemeinsamen Haushalt von V und F in Polen. Für den Kläger liegt eine entsprechende Berechtigtenbestimmung vor.

    V unterlag den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Deutschland, da er im strittigen Zeitraum weder eine Erwerbstätigkeit ausgeübt noch Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten hat. F unterlag jedenfalls aufgrund ihres Wohnsitzes den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Polen, da sie ebenfalls keiner Erwerbstätigkeit nachging. Wird der Anspruch im anderen Mitgliedstaat ebenfalls durch den Wohnort ausgelöst und ist dieser Mitgliedstaat (hier Polen) zugleich der Wohnort der Kinder, ist der Kindergeldanspruch in Deutschland nachrangig. Bei Nachrangigkeit des Kindergeldanspruchs in Deutschland wird dieser bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt. Der an sich vorgesehene Differenzbetrag muss allerdings nicht für Kinder gewährt werden, die in einem Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

    Im vorliegenden Fall haben V und F jedoch keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen. Es liegen somit keine konkurrierenden Ansprüche vor. Die Prioritätsregeln gelten nur, wenn für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten "zu gewähren sind". Das bedeutet, dass wegen Fehlens eines polnischen Anspruchs und damit fehlender konkurrierender Ansprüche der Anspruch im nachrangigen Staat (hier Deutschland) nicht ausgeschlossen ist. Denn wenn in einem Mitgliedstaat für ein Kind keine Leistungen vorgesehen sind, weil z.B. die Altersgrenze oder bestimmte Einkommensgrenzen überschritten sind, ist für diese Fallgestaltung die Prioritätsregelung generell nicht anwendbar.


Juni 2021


  • Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezüge: Wann liegt eine Doppelbesteuerung vor?

    Nimmt ein Steuerpflichtiger die Möglichkeit, seine Beiträge zum Versorgungswerk als Sonderausgaben in Abzug zu bringen, nicht in Anspruch, kann er sich nicht darauf berufen, dass eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen vorliegt.


    Hintergrund

    Im Einkommensteuerbescheid des Klägers für das Jahr 2015 berücksichtigte das Finanzamt u. a. die aus der Rentenbezugsmitteilung des berufsständischen Versorgungswerks ersichtliche Altersrente mit einem Betrag i. H. v. 522,50 EUR. Nach Abzug eines mit 157 EUR angesetzten steuerfreien Anteils ermittelte das Finanzamt einen steuerpflichtigen Rentenanteil i. H. v. 232 EUR. Im Einspruchsverfahren wiesen die Kläger daraufhin, dass die im Jahr 2005 an das Versorgungswerk entrichteten Beiträge des Klägers i. H. v. 3.650,40 EUR bei ihrer Einkommensteuer-Veranlagung für 2005 nicht steuermindernd berücksichtigt wurden, mit der Folge, dass wegen der gleichzeitigen Erfassung der Rentenauszahlungen im Rahmen der Steuerfestsetzung für 2015 im Ergebnis eine Doppelbesteuerung vorlag. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück, da der Kläger die Beitragszahlungen des Jahres 2005 nicht als Sonderausgaben geltend gemacht hatte. Mit der Klage berufen sich die Kläger weiter auf die nach ihrer Ansicht vorliegende Doppelbesteuerung.


    Entscheidung

    Die Klage hatte vor dem Finanzgericht keinen Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts kann es für die Annahme einer unzulässigen Doppelbesteuerung dahingestellt bleiben, ob der im Jahr 2005 unterbliebene Abzug der Beitragszahlungen als Sonderausgaben bei gleichzeitiger Erfassung der Rentenzahlung als Einnahmen im Jahr 2015 tatsächlich zu einer Doppelbelastung des Klägers geführt hat. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, könnte eine etwaige Doppelbelastung nicht in der von den Klägern begehrten Art und Weise durch eine Änderung ihrer Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2015 beseitigt werden. Das Gesetz sieht diese mit der Klage beantragte Rechtsfolge nämlich gar nicht vor.

    Der Grundsatz, dass es "in keinem Fall" zu einer verfassungswidrigen doppelten Besteuerung der Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezüge kommen darf, gilt allein dann, wenn eine Doppelbesteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen auf einem "Webfehler" des Gesetzes bzw. dessen mangelnder Ausdifferenzierung beruht. Verfassungsgemäß ist eine Doppelbesteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen, wenn sie darauf beruht, dass der Steuerpflichtige die im Gesetz – zur Vermeidung von Doppelbelastungen – vorgesehene Möglichkeit, Beiträge zum Versorgungswerk in der Beitragsphase als Sonderausgaben in Abzug zu bringen, tatsächlich nicht in Anspruch nimmt.

    Im vorliegenden Fall beruhte die bei den Klägern geltend gemachte Doppelbelastung jedoch nicht auf einem "Webfehler" des Gesetzes. Ursächlich für eine etwaige doppelte Besteuerung war vielmehr der Umstand, dass die Kläger die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, die Beiträge zum Versorgungswerk als Sonderausgaben in Abzug zu bringen, im Jahr 2005 tatsächlich nicht in Anspruch genommen haben.

  • Haushaltsnahe Aufwendungen kontra zumutbare Belastung: Was ist wann abziehbar?

    Für haushaltsnahe Dienstleistungen kann die Steuerermäßigung nach § 35a EStG in Anspruch genommen werden. Dies gilt auch für Dienstleistungen im Rahmen einer krankheitsbedingten Heimunterbringung, die eigentlich als außergewöhnliche Belastungen abziehbar wären, wegen der zumutbaren Belastung aber nicht berücksichtigt werden.


    Hintergrund

    Die Klägerin war gesundheitlich schwer beeinträchtigt und bewohnte im Jahr 2015 ein Apartment in einer Seniorenresidenz.

    Das Finanzamt ging davon aus, dass der Aufenthalt der Klägerin alters- und nicht krankheitsbedingt war. Es lehnte daher den Abzug der Unterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung ab und berücksichtigte lediglich haushaltsnahe Dienstleistungen im Rahmen der Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG.

    Das Finanzgericht beurteilte die Unterbringung der Klägerin zwar als krankheitsbedingt. Es sah die Aufwendungen jedoch der Höhe nach nur insoweit als berücksichtigungsfähig an, als sie auf eine übliche und angemessene Wohnfläche von 30 qm entfielen. Die danach als außergewöhnliche Belastung anerkannten anteiligen Unterbringungskosten kürzte es um eine geschätzte Haushaltsersparnis in Höhe des Unterhaltshöchstbetrags sowie um die zumutbare Belastung. Zudem entschied das Finanzgericht, dass für den Teil der haushaltsnahe Dienstleistungen, der im Rahmen der zumutbaren Belastung nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt wird sowie für den Teil, der aufgrund der Haushaltsersparnis nicht zum Abzug zugelassen wird, der Abzug nach § 35a Abs. 2 EStG zu gewähren ist.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof gab der Klage zum Teil statt. Er bestätigt zunächst die Berechnung des Abzugsbetrags als außergewöhnliche Belastung durch das Finanzgericht. Der Bundesfinanzhof teilt auch die Auffassung des Finanzgerichts, dass haushaltsnahe Dienstleistungen, die wegen der zumutbaren Belastung nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, nach § 35a Abs. 2 EStG abziehbar sind. Im Gegensatz dazu sind jedoch nach Ansicht des Bundesfinanzhofs in der Haushaltsersparnis keine Aufwendungen enthalten, die eine Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG rechtfertigen.

    Aufwendungen, die durch den Ansatz der zumutbaren Belastung nicht als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden, sind nicht i. S. v. § 35a Abs. 5 EStG als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt worden. Deshalb ist für diese Aufwendungen eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG möglich.

    Der Klägerin steht deshalb die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG zu. In den Unterbringungskosten sind Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen enthalten, die durch den Ansatz der zumutbaren Belastung nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt worden sind.

    Anders ist es bei der Kürzung der als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Unterbringungskosten um die Haushaltsersparnis. Aufgrund der Kürzung der dem Grunde nach anerkannten Unterbringungskosten um die Haushaltsersparnis wirken sich Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen, die möglicherweise in der Haushaltsersparnis enthalten sind, zwar nicht aus. Eine Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG setzt allerdings voraus, dass in dem Betrag überhaupt Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen enthalten sind. Da die Haushaltsersparnis Fixkosten (Miete oder Zinsaufwendungen, Grundgebühr für Strom, Wasser etc. sowie Reinigungsaufwand und Verpflegungskosten) abdecken soll, ist davon auszugehen, dass darin keine Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen in einer nennenswerten Größenordnung enthalten sind.


  • Wenn die Anlage AV fehlt: Muss das Finanzamt den Sonderausgabenabzug gewähren?

    Wer den Sonderausgabenabzug für seine Beiträge zur Altersvorsorge in Form der Riester-Rente in Anspruch nehmen möchte, muss einen entsprechenden Antrag stellen. Dieser setzt zwingend voraus, dass er in Form der Anlage AV gestellt wird.


    Hintergrund

    Die Kläger beantragten die Änderung des Einkommensteuer-Bescheids für das Jahr 2012, da das Finanzamt für das Jahr 2012 weder die Beiträge für den Riester-Vertrag berücksichtigt noch die staatliche Altersvorsorgezulage gewährt hatte. Die für die Berücksichtigung erforderlichen Daten waren von der Versicherung an das Finanzamt gemeldet worden.

    Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag ab, da keine Anlage AV vorlag und der Bescheid bereits bestandskräftig war. Dagegen erhoben die Kläger Klage. Ihrer Ansicht nach lag eine offenbare Unrichtigkeit vor und das Finanzamt machte sich einen Fehler der Kläger zu Eigen. Aus § 10a EStG ergab sich auch nicht, dass eine Anlage AV hätte abgegeben werden müssen.


    Entscheidung

    Das Finanzgericht wies die Klage ab. Es bestand keine zwingende Verpflichtung der Finanzbehörde, allein aufgrund der Datenübermittlung den Sonderausgabenabzug zu gewähren. Die an die Finanzbehörde übermittelten Daten zur Riester-Rente stellen keinen Grundlagenbescheid i. S. d. § 171 Abs. 10 AO für Zwecke des Vorsorgeabzugs dar.

    Das Finanzamt hatte die von den Klägern begehrte Berichtigung aufgrund einer offenbaren Unrichtigkeit zu Recht abgelehnt, da es bereits an der Unrichtigkeit des Veranlagungsverhaltens des Finanzamts fehlte. Zwar können Altersvorsorgebeiträge zur Riester-Rente als Sonderausgaben abgezogen werden. Ohne Antrag muss das Finanzamt im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung jedoch keinen Sonderausgabenabzug gewähren.

    Selbst wenn die Nichtbeantragung des Abzuges des Vorsorgeaufwands durch die Kläger auf einem vom Finanzamt übernommenen Versehen der Kläger beruhen sollte, so kann nicht unterstellt werden, dass das Finanzamt dieses Versehen als eigenen Fehler übernommen hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Finanzamt die Einkommensteuerveranlagung bewusst ohne Sonderausgabenabzug für die Altersvorsorgebeiträge vorgenommen hat, weil keine Anlage AV der Kläger vorlag. Auch insoweit fehlt es demnach an einem mechanischen Fehler seitens des Finanzamts. Eine Änderung wegen einer neuen Tatsache scheidet ebenfalls aus, da dem Finanzamt der Antrag erst durch grobes Verschulden der Kläger nachträglich bekannt geworden ist.


  • Zur Anrechnung von nicht im Ausland beantragten Familienleistungen

    Wer Anspruch auf Familienleistungen im EU-Ausland hat, die dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind, muss damit rechnen, dass das Kindergeld nach deutschem Recht gekürzt wird. Das gilt auch dann, wenn der im Ausland erwerbstätige Kindergeldberechtige die dort vorgesehenen Leistungen nicht beantragt und bezogen hat.


    Hintergrund

    Der Kläger lebt mit seiner Familie in Deutschland. Er bezog für seine beiden Kinder seit 1998 Kindergeld. Im Dezember 2000 nahm er eine nichtselbstständige Tätigkeit in den Niederlanden auf, ohne die ihm dort zustehenden Familienleistungen zu beantragen. Der Familienkasse machte er keine Mitteilung. Dementsprechend wurde ihm das Kindergeld von der Familienkasse weiterhin ungemindert ausgezahlt. Die Ehefrau war nicht erwerbstätig.

    Im Jahr 2016 erfuhr die Familienkasse von der Erwerbstätigkeit des Klägers in den Niederlanden. Sie hob daraufhin die Kindergeldfestsetzung rückwirkend für mehrere Jahre zum Teil auf, indem sie den Anspruch des Klägers auf niederländische Familienleistungen anrechnete.

    Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage überwiegend statt und entschied, dass die Familienkasse fiktives, in den Niederlanden tatsächlich nicht gezahltes Kindergeld nicht anrechnen durfte.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof kam dagegen zu dem Ergebnis, dass wegen des Anspruchs des Klägers auf Familienleistungen nach niederländischem Recht sein deutscher Kindergeldanspruch auf den Betrag begrenzt wird, der sich bei Anrechnung des Anspruchs auf niederländische Familienleistungen ergibt.

    Bestehen Ansprüche nach dem Recht mehrerer Mitgliedstaaten, sind die Ansprüche, die durch eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden, vorrangig (Niederlande). Der nachrangig verpflichtete Staat (Deutschland), in dem der Kindergeldberechtigte wohnt, aber nicht erwerbstätig ist, ist nur zu Leistungen verpflichtet, wenn diese höher sind als die im Beschäftigungsstaat, und zwar in Höhe des Unterschiedsbetrags (Differenzkindergeld).

    Der bei einem nachrangigen Träger gestellte Kindergeldantrag ist von diesem an den vorrangig zuständigen weiterzuleiten. Diese Regelung geht davon aus, dass der nachrangig verpflichtete Träger die möglichen Ansprüche nach dem Recht des vorrangig verpflichteten Mitgliedstaats kennt. Der Träger des vorrangig zuständigen Mitgliedstaats bearbeitet den Antrag so, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre. Der im nachrangig verpflichteten Staat gestellte Antrag gilt als Antrag nach dem Recht des vorrangig verpflichteten Mitgliedstaats (Fiktion der europaweiten Antragstellung).

    Diese Koordinierungsregelung ist im Streitfall anwendbar, obwohl das Verfahren zur Weiterleitung des im nachrangig zuständigen Staat gestellten Kindergeldantrags an den vorrangig zuständigen nicht eingehalten wurde. Ein in einem nachrangig zuständigen EU-Mitgliedstaat gestellter Antrag löst somit die Fiktionswirkung, wonach er zugleich als im vorrangig zuständigen Staat gestellt gilt, auch dann aus, wenn der Träger, bei dem der Antrag gestellt wird, keine Kenntnis davon hat, dass ein Sachverhalt mit Auslandsbezug vorliegt, z.B. weil der Kindergeldberechtigte – wie im vorliegenden – eine Auslandstätigkeit aufgenommen hat, ohne die Familienkasse davon zu unterrichten. Die Wirkung tritt somit auch dann ein, wenn zu dem Zeitpunkt, als der Kindergeldantrag gestellt wurde, noch gar kein Anlass bestand, ihn an einen ausländischen Träger weiterzuleiten. Diese Koordinierung der Ansprüche führt im Streitfall dazu, dass der Anspruch auf Familienleistungen nach niederländischem Recht auf den Kindergeldanspruch nach deutschem Recht anzurechnen ist.

    Die Familienkasse war somit berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes zum Teil aufzuheben. Sie muss nur die Differenz zwischen dem deutschen Kindergeld und dem Anspruch auf die (niedrigeren) niederländischen Familienleistungen zahlen.



Mai 2021


  • Zur Änderung eines Steuerbescheids aufgrund einer Mitteilung der Zulagenstelle für Altersvermögen

    Bei der Mitteilung der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) gegenüber dem Finanzamt bezüglich der Zulagenberechtigung eines Steuerpflichtigen handelt es sich lediglich um ein Verwaltungsinternum und nicht um einen Grundlagenbescheid. Es besteht keine Bindung des Finanzamts an eine unrichtige Mitteilung der ZfA.


    Hintergrund

    Die Eheleute werden in den Jahren 2010 bis 2012 zusammen veranlagt. Der Ehemann M war in der landwirtschaftlichen Alterskasse gesetzlich (renten-)versichert. Daneben zahlte er in eine private Rentenversicherung ein (sog. Riester-Rente). Bei Vertragsschluss hatte er gegenüber der Versicherung angegeben, über seine Ehefrau mittelbar zulageberechtigt zu sein. Die Ehefrau F unterhielt beim gleichen Anbieter ebenfalls einen Altersvorsorgevertrag. Sie ist unmittelbar zulageberechtigt.

    In ihren Einkommensteuer-Erklärungen machten die Eheleute jeweils einen zusätzlichen Sonderausgabenabzug für die Beiträge zu ihren Riester-Rentenversicherungen geltend und gaben an, unmittelbar begünstigt zu sein.

    Das Finanzamt veranlagte zunächst erklärungsgemäß und behandelte M als unmittelbar begünstigt.

    Im Jahr 2015 teilte die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) dem Finanzamt mit, dass M nur mittelbar zulageberechtigt war. Darauf erließ das Finanzamt Änderungsbescheide, in denen M lediglich als mittelbar zulageberechtigt berücksichtigt wurde.

    Die Eheleute wandten sich gegen die Änderungen unter Hinweis auf die Pflichtmitgliedschaft des M in der landwirtschaftlichen Alterskasse. Entgegen der Auskunft der ZfA hatte M einen unmittelbaren Zulagenanspruch.

    Das Finanzamt wies die Einsprüche gegen die geänderten Einkommensteuer-Bescheide zurück. Auch die Klage blieb erfolglos, da das Finanzgericht der Ansicht war, dass das Finanzamt an die Mitteilung der ZfA über die mittelbare Berechtigung des M gebunden war.


    Entscheidung

    Der Bundesfinanzhof widerspricht der Auffassung des Finanzamts und des Finanzgerichts. Den Eheleuten ist aufgrund ihrer unmittelbaren Zulageberechtigung der Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 EStG zu gewähren. Bei der Mitteilung der ZfA an das Finanzamt nach § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG handelt es sich weder um einen Grundlagenbescheid noch hat sie grundlagenbescheidsähnliche Wirkung. Der Mitteilung kommt auch nicht aus sonstigen Gründen Tatbestandswirkung zu.

    Ein Grundlagenbescheid liegt bereits deshalb nicht vor, weil es sich bei der Mitteilung der ZfA nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Es fehlt an einer Außenwirkung im Verhältnis zum Zulageberechtigten. Die ZfA teilt das Prüfungsergebnis lediglich dem Finanzamt mit. Es handelt sich um ein bloßes Verwaltungsinternum.

    Zwar können ressortfremde Verwaltungsakte, die keine Grundlagenbescheide sind, als feststehende Tatsache bzw. Besteuerungsgrundlage für das Finanzamt (und auch für das Finanzgericht) bindend sein. Diese Tatbestandswirkung führt dazu, dass sie im Besteuerungsverfahren hinzunehmen und nicht auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen sind. Die Prüfung bleibt den dazu berufenen Spezialgerichten vorbehalten. Die Mitteilung der ZfA über die Zulagenberechtigung ist allerdings keine solche ressortfremde Entscheidung. Es fehlt bereits am Vorliegen eines Verwaltungsakts. Zudem liegt kein ressortfremdes Verwaltungsverfahren vor. Denn die ZfA ist im Verhältnis zu den Finanzämtern keine ressortfremde Behörde. Sie wird im Wege der Organleihe für das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) tätig und handelt insoweit als Finanzbehörde.



April 2021


  • Beiträge zur Absicherung im Krankheitsfall durch einen Solidarverein als Sonderausgaben

    Beiträge an einen Solidarverein sind als Sonderausgaben abzugsfähig. Das gilt allerdings nur, wenn auf die Leistungen des Vereins ein Rechtsanspruch besteht.


    Hintergrund


    A ist freiberuflich tätig und zahlt für ihre Absicherung im Krankheits- und Pflegefall Beiträge an einen eingetragenen Verein V. Der V ist eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gem. Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und keine Krankenkasse oder Krankenversicherung. Die Mitglieder sichern sich gegenseitig verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu, die mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Die einkommensabhängigen Beiträge der Mitglieder werden zur Hälfte einem Individualkonto des Mitglieds gutgeschrieben. Die Auszahlung dieses Guthabens kann das Mitglied zur Deckung seiner Krankheitskosten verlangen. Die andere Hälfte der Beiträge wird einem Solidarfonds gutgeschrieben, aus dem weitere Unterstützungen (auch zur Hilfe im Pflegefall) an die Mitglieder erbracht werden können. Ein Anspruch auf Auszahlung besteht nur in Fällen der medizinischen Notwendigkeit. Diese soll dem individuellen Bedarf entsprechen, wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege- oder Krankenversicherung erreicht werden soll. In anderen Fällen entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen.


    A machte die an V gezahlten Beiträge als Sonderausgaben geltend. Der für Vorsorgeaufwendungen geltende Höchstbetrag war bereits durch anderweitige Aufwendungen ausgeschöpft.


    Da V ihrer Ansicht nach kein begünstigter Versicherungsträger war, verweigerten sowohl Finanzamt als auch Finanzgericht den Abzug.


    Entscheidung


    Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Zur Begründung führten die Richter aus: Selbst wenn V als "Versicherungsunternehmen" anzusehen wäre, würde ein Sonderausgabenabzug voraussetzen, dass dieses Unternehmen das Versicherungsgeschäft im Inland betreiben darf oder ihm die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist. Nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz bedürfen Versicherungsunternehmen der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde, die für V jedoch nicht erteilt war. Auch lagen die Voraussetzungen etwaiger Ausnahmetatbestände nicht vor.


    Der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG beschränkt sich nicht auf Einrichtungen mit Sitz außerhalb des EU-/EWR-Raums. Aus dem Wortlaut folgt kein Ausschluss von Einrichtungen, die ihren Sitz im EU-/EWR-Raum haben. Im Gegenteil lässt die Bezugnahme gerade auf Normen des deutschen Sozialversicherungs- bzw. Privatversicherungsrechts erkennen, dass auch deutsche Einrichtungen erfasst sind. Aus der Einleitung ("Darüber hinaus") der Norm folgt nichts anderes. Dadurch sollen die begünstigten Versorgungsträger über die Beschränkungen auf "Versicherungsunternehmen" hinaus auch auf bestimmte "Einrichtungen" erweitert werden. Ein einkommensteuerrechtlicher Ausschluss von Einrichtungen mit Sitz in EU-/EWR-Staaten ist hier nicht gewollt.


    Im zweiten Rechtsgang vor dem Finanzgericht wird es darauf ankommen, ob es sich bei V um eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall gewährt und ob auf die Leistungen des V ein Anspruch besteht.

  • Verhinderung an der Ausbildung wegen Erkrankung: Gibt es weiterhin Kindergeld?

    Ein volljähriges Kind kann auch dann als ausbildungsplatzsuchendes Kind zu berücksichtigen sein, wenn es wegen einer Erkrankung keine Berufsausbildung beginnen kann. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das Ende der Erkrankung absehbar ist.


    Hintergrund


    Sohn P brach in der 11. Klasse die Schule ab, nachdem er bereits seit Jahren Drogen genommen hatte. Seit Frühjahr 2015 befand er sich in Therapie. Im Juni 2017 hatte sich sein Zustand soweit verbessert, dass er ein Praktikum absolvieren konnte.


    Im Juli 2017 beantragte der Vater V Kindergeld für P. Er legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für P vor sowie eine Erklärung des P, dass er sich um einen Ausbildungsplatz bewerben werde. Aus ärztlichen Nachweisen ging hervor, dass P seit September 2016 erkrankt und das Ende der Erkrankung nicht absehbar bzw. zunächst auf Jahresende 2017 anzunehmen war.


    Die Familienkasse lehnte Kindergeld für August 2015 bis Mai 2017 ab. Das Finanzgericht gab der Klage statt. Für ein Kind, das seine Ausbildung wegen einer Erkrankung nicht fortsetzen kann, wird Kindergeld gezahlt. Das Gleiche muss gelten, wenn eine Ausbildung wegen einer Erkrankung gar nicht begonnen oder gesucht werden kann.


    Entscheidung


    Der Bundesfinanzhof entschied dagegen, dass die allgemeine Ausbildungswilligkeit des Kindes nicht ausreicht. Ein Kind wird im Rahmen des Kindergeldes berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Kinder, die einen Ausbildungsplatz suchen, sollen mit denen, die bereits einen Ausbildungsplatz gefunden haben, gleichgestellt werden. Dies setzt aber voraus, dass der Beginn der Ausbildung nicht an anderen Umständen als dem Mangel eines Ausbildungsplatzes scheitert. In der Person des Kindes liegende Gründe, die der Berufsausbildung entgegenstehen, schließen daher die Berücksichtigung beim Kindergeld aus, z. B. wenn die Voraussetzungen für den angestrebten Studiengang nicht erfüllt sind.


    Ist ein Kind aus Krankheitsgründen gehindert, einen Ausbildungsplatz zu suchen, reicht die allgemeine, auf eine künftige Berufsausbildung gerichtete Ausbildungswilligkeit für die Berücksichtigung eines Kindes nicht aus. Vielmehr muss das Ende der Erkrankung absehbar sein. Denn nach einer gewissen Zeit schließt die krankheitsbedingte Unterbrechung der Suche nach einem Ausbildungsplatz die Berücksichtigung des Kindes als arbeitsplatzsuchend aus.


    Hiervon ausgehend war P unter dem Gesichtspunkt der Ausbildungsplatzsuche nicht zu berücksichtigen. Die Zeit bis zur Aufnahme einer künftigen Berufsausbildung war keine Frage von Wochen oder Monaten. Vielmehr war das Ende der Erkrankung nicht absehbar. Somit war auch der Beginn einer Berufsausbildung nicht absehbar.


    Der Bundesfinanzhof verwies den Fall an das Finanzgericht zurück. Dieses hat zu prüfen, ob P als behindertes Kind berücksichtigt werden kann. Denn die Voraussetzungen einer Behinderung sind regelmäßig erfüllt, wenn das Ende einer Beeinträchtigung, die ein Kind daran hindert, sich um eine Berufsausbildung zu bemühen, nicht absehbar ist.


Februar 2021


  • Private Verkäufe über das Internet: Wann Gewerblichkeit vorliegt

    Wer viele Gegenstände über einen längeren Zeitraum im Internet verkauft, muss damit rechnen, dass das Finanzamt die Verkäufe besteuern will. Allein die Veräußerung über eine Internetplattform führt jedoch nicht bereits zur Gewerblichkeit, hat nun der Bundesfinanzhof zugunsten der Verkäufer entschieden.


    Hintergrund


    X unterhielt in den Jahren 2010 – 2012 einen gewerblichen Internet-Shop, den X-Service. Über diesen Shop veräußerte er Modelleisenbahnen und Zubehörartikel. Daneben hatte er über die Internetplattform eBay weitere Umsätze getätigt, die er nicht erklärt hatte. Es handelte sich dabei um ca. 1.500 Verkäufe von Eisenbahn-Modellen.


    Das Finanzamt ging davon aus, dass die Verkäufe über eBay in unmittelbarem Zusammenhang mit dem X-Service standen und erließ entsprechende Einkommensteuer- und Gewerbesteuer-Messbescheide.


    X argumentierte dagegen, dass die eBay-Verkäufe aus einer seit 1997 privat aufgebauten Sammlung stammten, die ursprünglich nicht zum Verkauf bestimmt gewesen war. Er musste die Sammlung jedoch verkaufen, um den im Jahr 2010 eröffneten gewerblichen X-Service zu finanzieren. Der X-Service und die eBay-Verkäufe waren aufgrund der Modellunterschiede und der Lagerung in verschiedenen Gebäuden voneinander getrennt.


    Das Finanzgericht wies die Klage ab und entschied, dass auch die Verkäufe über eBay dem Gewerbebetrieb zuzuordnen sind. Die Auflösung einer privat angelegten Sammlung durch eine Vielzahl von Verkäufen war gewerblich.


    Entscheidung


    Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Das Finanzgericht unterstellte, dass X über eBay lediglich seine Privatsammlung veräußert hat, und bejahte trotzdem die Gewerblichkeit. Dies stellt einen Rechtsfehler dar, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt.


    Wurden die über eBay verkauften Modelle für den Gewerbebetrieb angeschafft (X-Service), sind die daraus erzielten Einnahmen den gewerblichen Einkünften zuzurechnen. Hatte X dagegen – wie von ihm behauptet – die Modelle für eine privat aufgebaute Sammlung angeschafft, könnten sie gleichwohl später wegen Vermischung oder Branchenüblichkeit dem Gewerbebetrieb (X-Service) zugerechnet werden.


    Wenn die Modelle zu keiner Zeit dem Betriebsvermögen des X-Service zuzuordnen waren, stellt sich die Frage, ob die eBay-Verkaufstätigkeit für sich isoliert als gewerblich anzusehen ist. Nur wenn dies bejaht wird, wären die privat erworbenen Modelle mit Aufnahme der Verkaufsaktivitäten in das Betriebsvermögen eingelegt worden. Wird dies jedoch verneint, wäre die isolierte eBay-Verkaufstätigkeit ertragsteuerlich irrelevant.


    Das Finanzgericht hat im zweiten Rechtsgang festzustellen, ob X die verkauften Modelle bereits ursprünglich für seinen Gewerbebetrieb oder aber für die private Sammlung erworben hat.


    Dabei ist zu berücksichtigen, dass branchenübliche Geschäfte regelmäßig im betrieblichen Bereich abgewickelt und dem Gewerbebetrieb zuzurechnen sind. Eine Aussonderung privater Geschäftsvorfälle ist nur möglich, wenn anhand objektiver Umstände dargelegt wird, dass die entsprechenden Wirtschaftsgüter eindeutig vom betrieblichen Bereich getrennt wurden und die Geschäftsvorfälle privat veranlasst sind. Andernfalls sind die Wirtschaftsgüter notwendiges Betriebsvermögen.


    Für die Frage, ob die eBay-Tätigkeit als solche über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinausgeht, ist in Zweifelsfällen auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abzustellen. Danach gehört zum Handel als typische gewerbliche Tätigkeit die Anschaffung zur Weiterveräußerung.


    Davon ausgehend fehlt es an dem für einen Händler typischen Ankauf von Objekten in Wiederveräußerungsabsicht, wenn H die Modelle für den Aufbau einer privaten Sammlung angeschafft hat. Allein aus der Verkaufstätigkeit über eBay ergibt sich nicht die Vergleichbarkeit mit der Tätigkeit eines Händlers. Das gilt auch dann, wenn über einen längeren Zeitraum zahlreiche Verkaufsgeschäfte abgewickelt wurden.

  • Warum ein Biberschaden keine außergewöhnliche Belastung ist

    Schäden, die durch Wildtiere entstehen, können nicht im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen steuerlich berücksichtigt werden. Dies gilt auch für Aufwendungen zur Beseitigung konkreter, von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehender Gesundheitsgefahren.


    Hintergrund


    Biber untergruben eine Böschung, worauf diese samt der Terrasse des von den Klägern selbst bewohnten Einfamilienhauses absackte. Eine Fachfirma erneuerte die Pflasterung der Terrasse und die abgesackten Wege. Diese errichtete zudem eine "Bibersperre" in Form eines mit Wackergeröll verfüllten Grabens. Die Kläger machten die Aufwendungen von ca. 4.000 EUR im Zusammenhang mit einem Biberschaden an Terrasse und Garten als außergewöhnliche Belastung geltend.


    Das Finanzamt erkannte die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung an. Die nachgewiesenen Lohnkosten berücksichtigte es als Handwerkerleistungen i. S. d. § 35a Abs. 3 EStG. Das Finanzgericht folgte dem Finanzamt und wies die Klage ab.


    Entscheidung


    Die Revision der Kläger hatte keinen Erfolg. Die geltend gemachten Aufwendungen zur Beseitigung der Biberschäden und zur Errichtung der Bibersperre erkannte auch der Bundesfinanzhof nicht als außergewöhnliche Belastungen an.


    Ziel der gesetzlichen Regelung zu den außergewöhnlichen Belastungen ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aufwendungen sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Vom Abzug sind daher die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, ausgeschlossen. Das gilt auch dann, wenn die Aufwendungen einen grundrechtlich geschützten Bereich betreffen.


    Davon ausgehend sind die streitigen Aufwendungen bereits dem Grunde nach nicht außergewöhnlich. Denn Wildtierschäden sind keineswegs unüblich. Wildtierarten, die über Jahrzehnte in der deutschen Kulturlandschaft ausgestorben oder stark zurückgedrängt waren, sind in Deutschland wieder heimisch geworden und breiten sich aus. Vielfältige Wildtierpopulationen haben sich auch in den Siedlungsräumen etabliert. Wildtiere können z. T. beträchtliche Schäden verursachen. Ebenso können Wildtierpopulationen – insbesondere in Siedlungsräumen – Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung entsprechender Wildschäden erfordern, wie z.B. die Errichtung von Barrieren und Zäunen, die Vergrämung von Wildtieren oder die Steuerung des Habitats.


    Aufwendungen zur Beseitigung von Schäden durch Wildtiere und für Maßnahmen zur Vermeidung von Wildtierschäden sind daher nicht mit ungewöhnlichen Schadensereignissen wie Brand oder Hochwasser vergleichbar. Aufwendungen in Zusammenhang mit Wildtierschäden sind daher grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, selbst wenn sie zur Beseitigung konkreter, von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehender Gesundheitsgefahren geleistet werden.


    Das Finanzamt hat deshalb die Lohnkosten zutreffend als Handwerkerleistungen nach § 35a Abs. 3 EStG angesetzt.


Januar 2021


  • Haushaltsnahe Dienstleistungen: Fahrbahnreinigung und Werkstattleistungen nicht begünstigt

    Die Reinigung des öffentlichen Gehwegs vor dem Haus ist als haushaltsnahe Dienstleistung begünstigt, die Reinigung der Fahrbahn einer öffentlichen Straße dagegen nicht. Auch für in der Werkstatt eines Handwerkers erbrachte Leistungen gibt es die Steuerermäßigung nicht.


    Hintergrund


    Der Kläger machte Kosten für die Straßenreinigung (100 EUR) als haushaltsnahe Dienstleistungen nach § 35a EStG geltend. Die Straßenreinigung (Fahrbahn und Gehweg) wurde vom Land als öffentliche Aufgabe für die Anlieger durchgeführt. Die Kosten hatten die Anlieger zu 75 % zu tragen. Darüber hinaus begehrte der Kläger die Steuerermäßigung für Aufwendungen für Tischlerarbeiten (Lohnkosten 980 EUR) als Handwerkerleistungen. Hierbei handelte es sich um die Reparatur eines Hoftors, das vom Tischler ausgebaut, in seiner Werkstatt repariert und anschließend wieder eingebaut wurde.


    Das Finanzamt berücksichtigte die Aufwendungen nicht, dagegen entschied das Finanzgericht zugunsten des Klägers.


    Entscheidung


    Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und verwies die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Finanzgericht zurück.


    Der Begriff der haushaltsnahen Dienstleistung wird im Gesetz nicht definiert. Der Bundesfinanzhof verlangt, dass die Leistungen eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung aufweisen bzw. damit im Zusammenhang stehen. Dazu gehören hauswirtschaftliche Verrichtungen, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen. Dabei kann nach dem räumlich-funktionalen Haushaltsbegriff auch die Inanspruchnahme von Diensten, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, z. B. öffentlichem Grund geleistet werden, als haushaltsnahe Dienstleistung begünstigt sein. Auch hierbei muss es sich jedoch um Tätigkeiten handeln, die ansonsten üblicherweise von Familienmitgliedern erbracht und in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen.


    Davon ausgehend waren sind die Kosten des Klägers für die Reinigung des Gehwegs begünstigt. Die auf den Gehweg entfallenden Kosten sind in vollem Umfang, d. h. auch für den in öffentlichem Eigentum stehenden Gehwegbereich, begünstigt.


    Bei der Reinigung der Fahrbahn handelt es sich dagegen nicht um eine hauswirtschaftliche Verrichtung, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt wird. In Städten obliegt die Reinigung der Fahrbahn regelmäßig der Gemeinde als öffentliche Aufgabe und wird von dieser gegen Kostenbeteiligung der Anlieger im Rahmen der Daseinsvorsorge erbracht.


    Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35a Abs. 3 Satz 1 EStG sind Leistungen, die außerhalb des Haushalts erbracht werden, nicht begünstigt, auch wenn sie für den Haushalt erbracht werden. Entscheidend ist die tatsächliche Erbringung der Leistung. Daher ist eine Handwerkerleistung, soweit sie an einem Haushaltsgegenstand in der Werkstatt des Handwerkers erbracht wird, nicht begünstigt. Denn sie weist lediglich einen funktionalen, nicht auch einen unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit dem Haushalt auf. Ob der Leistungserfolg im Haushalt erzielt wird, ist unerheblich.

  • Privates Veräußerungsgeschäft: Fristbeginn bei Kaufvertrag mit einem befristeten Benennungsrecht

    SoWann beginnt die Frist bei einem privaten Veräußerungsgeschäft, wenn der Kaufvertrag mit einem befristeten Benennungsrecht ausgestattet ist? Zu dieser Frage hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg entschieden. Das letzte Wort hat nun der Bundesfinanzhof.


    Hintergrund


    Die Kläger schlossen im notariellen Vertrag v. 21.9.2000 einen Grundstückkaufvertrag über eine noch zu vermessende Teilfläche. Die Kläger verpflichteten sich in dem Vertrag, bis zum 30.6.2002 5 Käufer zu benennen, die einen bestimmten Miteigentumsanteil an dem noch zu vermessenden Grundstück erwerben.


    Die Kläger benannten mit notariellem Vertrag v. 17.4.2001 3 Käufer, einen Miteigentumsanteil erwarben sie selbst. Nach dem ursprünglichen Vertrag wurden daher die Kläger Erwerber des nicht benannten Miteigentumsanteils, den sie mit notariellem Vertrag v. 6.12.2004 veräußerten. Mit notariellem Vertrag vom 25.2.2011 veräußerten die Kläger ihren ursprünglich benannten Miteigentumsanteil an die Eheleute I.


    Das Finanzamt setzte für das Jahr 2011 Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i. H. v. je 37.975 EUR fest. Nach erfolglosem Einspruch wandten sich die Kläger an das Finanzgericht.


    Entscheidung


    Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht entschied, dass der Erwerb mit notariellem Vertrag v. 21.9.2000 und damit außerhalb der für eine Besteuerung nach § 23 EStG bestimmten Frist von 10 Jahren erfolgte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kommt es bei der Fristberechnung auf die Vertragserklärungen beider Parteien innerhalb der Veräußerungsfrist an.


    Das aufschiebende Rechtsgeschäft ist tatbestandlich mit seiner Vornahme vollendet und voll gültig, seine Bindungswirkung tritt mit dem Bedingungsfall ein, ohne dass die Willenseinigung noch Bestand haben muss. Bei so einem Rechtsgeschäft haben die Parteien keine Möglichkeit mehr, die Vertragsbeziehung einseitig zu lösen und sind zur gegenseitigen Treuepflicht verpflichtet (sog. Potestativbedingung). Lediglich dann, wenn die Wirksamkeit vom Belieben des Verpflichteten abhängig sein soll, wird keine Bedingung angenommen (sog. Wollensbildung).


    Aus diesen Gründen liegt nach Ansicht des Finanzgerichts vorliegend eine Potestativbedingung vor. Zwar hatte die Klägerin die Möglichkeit, einen Käufer zu finden – sie konnte also auf das Geschehen Einfluss nehmen –, die Rechtsfolgen des Geschehens konnte sie aber nicht mehr ändern. Aus diesem Grunde war sie an den Vertrag wirksam gebunden.ll eine GmbH im vereinfachten Verfahren gegründet werden, darf nicht vom Musterprotokoll abgewichen werden. Die Regelung zum Gründungsaufwand darf ebenfalls nicht verändert werden. Andernfalls liegt eine normale GmbH-Gründung vor.


    Hintergrund


    Die alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin gründete in der erforderlichen, notariell beurkundeten Form eine GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 EUR. Dabei verwendete sie das Musterprotokoll für die GmbH-Gründung im vereinfachten Verfahren. An einer Stelle, nämlich bei der Regelung zum Gründungsaufwand, wich sie jedoch vom Musterprotokoll ab. Eine vorgegebene Formulierung kürzte sie ab, was vom Registergericht beanstandet wurde.


    Entscheidung


    Die Beschwerde der Gesellschafterin blieb ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht folgte der Einschätzung des Registergerichts. Durch die Streichung eines Satzteils veränderte die Gesellschafterin das Musterprotokoll der vereinfachten Gründung inhaltlich. Derartige Änderungen führen aber dazu, dass die Gründung nicht mehr als vereinfachte Gründung angesehen werden kann. Stattdessen lag eine normale Gründung vor, die alle hierfür geltenden Vorgaben erfüllen muss, z.B. die Pflicht zur Einreichung einer separaten Gesellschafterliste. Irrelevant war, dass sich im konkreten Fall die Abänderung des Musterprotokolls auf die tatsächliche Kostenverteilung zwischen Gesellschaft und Gesellschafterin nicht auswirkte, da das Stammkapital über 300 EUR lag.

  • Zweitstudium: Kosten eines Auslandssemesters sind abziehbar

    Wer bereits eine Erstausbildung abgeschlossen hat, kann Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwand eines Auslandssemesters im Rahmen eines Zweitstudiums als vorab entstandene Werbungskosten geltend machen. Fraglich ist jedoch, wo hier die erste Tätigkeitsstätte liegt.


    Hintergrund


    Die Klägerin hatte bereits eine Erstausbildung abgeschlossen und nahm ein Studium an einer Fachhochschule im Inland auf. Die Prüfungsordnung für diesen Studiengang sah 2 Semester an einer ausländischen Partnerhochschule sowie ein Auslandspraxissemester vor. Die Klägerin absolvierte diese in den Jahren 2014/2015. Während der Semester im Ausland blieb sie jeweils entsprechend der Studienordnung Mitglied der Fachhochschule mit allen Rechten und Pflichten. Zudem behielt sie ihren Wohnsitz in der Wohnung ihrer Eltern bei.


    Die Klägerin machte für 2014/2015 die Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen während der Auslandsaufenthalte als Werbungskosten geltend.


    Sowohl Finanzamt als auch Finanzgericht waren der Ansicht, dass die Bildungsstätten im Ausland zu ersten Tätigkeitsstätten geworden waren und erkannten dementsprechend die geltend gemachten Aufwendungen nicht an.


    Entscheidung


    Der Bundesfinanzhof entschied dagegen, dass keine ersten Tätigkeitsstätten vorlagen. Die Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen während der beiden Auslandssemester und des Praxissemesters sind daher als vorab entstandene Werbungskosten zu berücksichtigen. Er hob das entgegenstehende Finanzgerichtsurteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück.


    Aufwendungen für eine zweite Ausbildung (Berufsausbildung oder Studium) sind regelmäßig beruflich veranlasst. Dementsprechend sind sämtliche beruflich veranlassten Aufwendungen, die im Rahmen einer Zweitausbildung anfallen, als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar. Das gilt auch bei einer auswärtigen Bildungsmaßnahme außerhalb eines Dienstverhältnisses.


    Notwendige Mehraufwendungen eines Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Übernachtungen an einer Tätigkeitsstätte, die nicht erste Tätigkeitsstätte ist, sind Werbungskosten. Abzugsfähig sind nur Aufwendungen für eine zusätzliche (berufliche) Unterkunft. Insoweit liegt Mehraufwand vor. Der Arbeitnehmer muss folglich neben der auswärtigen Unterkunft eine andere Wohnung/Unterkunft haben. Er muss dort jedoch – anders als bei einer doppelten Haushaltsführung – weder einen eigenen Hausstand führen noch muss dort der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liegen. Es genügt, wenn er z.B. im Haushalt der Eltern ein Zimmer bewohnt. Entsprechend steht dem Arbeitnehmer der Abzug der Pauschale für Verpflegungsmehraufwand für die ersten 3 Monate zu.


    Als erste Tätigkeitsstätte gilt auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses in Vollzeit aufgesucht wird Die Behandlung einer Bildungseinrichtung wie eine erste Tätigkeitsstätte ist jedoch nur insoweit gerechtfertigt, als sich ein Steuerpflichtiger in Vollzeitausbildung wie ein Arbeitnehmer, der einer betrieblichen Einrichtung dauerhaft zugeordnet ist. Daran fehlt es jedoch, wenn er die Bildungseinrichtung und damit seine erste Tätigkeitsstätte vorübergehend nicht aufsucht, weil er nach der Studienordnung Ausbildungsabschnitte an einer auswärtigen Bildungseinrichtung absolviert. Durch diese Auslegung wird die Gleichstellung mit einem Arbeitnehmer hergestellt, der am auswärtigen Tätigkeitsort keine erste Tätigkeitsstätte begründet, wenn er dort nur vorübergehend tätig ist.


    Dementsprechend steht der Klägerin der Werbungskostenabzug für die geltend gemachten Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen dem Grunde nach zu. Sie begründete an den Studienorten im Ausland keine erste Tätigkeitsstätte. Sie hielt sich dort nur vorübergehend auf und war weiterhin an der Fachhochschule im Inland eingeschrieben. Entsprechendes gilt für das Praxissemester.


    Das Finanzgericht muss nun die bisher nicht festgestellten Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen der Höhe nach prüfen.


Dezember 2020


  • Nicht nachgewiesene Kosten werden nicht anerkannt

    Wer Fortbildungskosten als Werbungskosten steuerlich geltend machen will und diversen Aufforderungen, Unterlagen nachzureichen, nicht nachkommt, muss sich nicht wundern, wenn die Aufwendungen nicht anerkannt werden. Und das zu Recht.


    Hintergrund


    Die verheiratete Klägerin absolvierte in den Jahren ab 2014 aufgrund eines fehlenden Visums ihr Studium im Ausland und machte entsprechende Aufwendungen steuerlich geltend. Diese setzten sich aus Semester- und Kursgebühren, Aufwendungen für Bücher/Material und Laptop sowie Fahrtkosten zur Universität und Kosten der doppelten Haushaltsführung zusammen. Als Unterlagen wurden Bestätigungen über Flugbuchungen, Rechnungen für eine Reisekrankenversicherung und verschiedene Telefonrechnungen vorgelegt. Das Finanzamt forderte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung diverse Unterlagen an. Hierunter u. a. die Mietverträge der Klägerin, den Stundenplan und Nachweise über die entstandenen Kosten. Da die Klägerin trotz Erinnerung auf die Schreiben nicht antwortete, führte das Finanzamt die Veranlagung ohne Anerkennung der geltend gemachten Aufwendungen für das Masterstudium durch.


    Im Einspruchsverfahren legte die Klägerin eine Student ID Card und einen Mietvertrag einer Villa mit 4 Schlafzimmern jeweils für den Zeitraum 2017 bis 2019 vor, außerdem einen Ablaufplan des akademischen Jahres 2014/2015.


    Das Finanzamt forderte weitere Nachweise an, dieser Aufforderung kam die Klägerin jedoch nicht nach, sodass das Finanzamt schließlich den Einspruch zurückwies. Dagegen erhob die Klägerin Klage.


    Entscheidung


    Die Klage hatte keinen Erfolg. Notwendige Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung können Werbungskosten sein, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes der ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand begründet und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt. Das Vorliegen eines eigenen Hausstandes setzt das Innehaben einer Wohnung und die finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung voraus. Beides lag bei der Klägerin nicht vor. Vielmehr konnte die Klägerin aufgrund eines fehlenden Visums nicht bei ihrem Mann in Deutschland wohnen. Die melderechtliche Anmeldung der Klägerin hat keine, einen eigenen Hausstand begründende Wirkung. Ebenso gibt es keine Anhaltspunkte für eine finanzielle Beteiligung der Klägerin an den Kosten der Lebensführung, denn die Klägerin wurde mangels eigener Einkünfte von ihrem Mann unterhalten. Aufwendungen für eine Berufsausbildung können berücksichtigt werden, soweit der Steuerpflichtige bereits eine Berufsausbildung oder ein Erststudium absolviert hat oder wenn die Berufsausbildung oder das Studium im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet.


    Da es sich hier um steuermindernde Tatsachen handelt, liegt die objektive Beweislast bei der Klägerin. Die geltend gemachten Werbungskosten waren deshalb nicht zu berücksichtigten, weil sie nicht hinreichend dargelegt wurden – insbesondere wurden weder ein Mietvertrag noch Belege über angefallene Studien- bzw. Kursgebühren für die Studienjahre vorgelegt.

  • Streit um das Umgangsrecht: Prozesskosten sind nicht abziehbar

    Zivilprozesskosten sollen nur bei Gefährdung der materiellen Existenzgrundlage abziehbar sein. Die Aufwendungen eines Rechtsstreits um die Rückführung eines ins Ausland entführten Kindes gehören wohl nicht dazu und sind deshalb vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen.


    Hintergrund


    Nach der Geburt ihrer Tochter trennten sich die Eltern. Die Mutter (M) brachte die Tochter nach einer Reise in ihr Heimatland Peru nicht mehr nach Deutschland zurück. Der Vater (V) versuchte vergeblich, die Tochter durch ein Verfahren zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) nach Deutschland zurückzuholen. In diesem Zusammenhang entstanden Gerichts- und Anwaltskosten von über 20.000 EUR. Diese machte er als außergewöhnliche Belastung geltend.


    Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung ab. Denn V hatte nicht nachgewiesen, inwieweit seine Existenzgrundlage durch die Aufwendungen gefährdet gewesen war. Das Finanzgericht verstand unter dem Begriff der "Existenzgrundlage" nicht nur die materielle Lebensgrundlage, sondern auch die immaterielle, den Kernbereich menschlichen Lebens berührende Lebensgrundlage. Es gab deshalb der Klage statt.


    Entscheidung


    Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und wies die Klage ab. Der Begriff der Existenzgrundlage ist nur im Sinne der materiellen Lebensgrundlage zu verstehen.


    Zur Begründung führten die Richter weiter aus: Das grundsätzliche Abzugsverbot für Prozesskosten gilt nur dann nicht, wenn der Steuerpflichtige ohne die Aufwendungen Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine notwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Unter Existenzgrundlage ist nur die materielle Lebensgrundlage zu verstehen. Für diese Auslegung spricht der Gesetzeswortlaut und das bisherige Verständnis des Begriffs der Existenzgrundlage in der Rechtsprechung sowie auch die Entstehungsgeschichte der Norm.


    Der Bundesfinanzhof hatte ursprünglich für die Abziehbarkeit von Zivilprozesskosten 3 Fallgruppen gebildet:


    -Scheidungskosten,

    -ein existenziell wichtiger Bereich oder

    -der Kernbereich menschlichen Lebens ist berührt.


    Aus der Gesetzesentwicklung ergibt sich, dass der Gesetzgeber lediglich die Fallgruppe 2 als Ausnahme vom generellen Abzugsverbot für Prozesskosten anerkennen wollte. Außerdem sollte die Abziehbarkeit von Prozesskosten auf einen "engen Rahmen" beschränkt werden. Eine Auslegung, dass gleichwohl Aufwendungen, die den Kernbereich des menschlichen Lebens und damit die "immaterielle Existenzgrundlage" betreffen (Fallgruppe 3), abziehbar sind, ist daher nicht möglich.

  • Warum eine gebrochene Hand kein Wiedereinsetzungsgrund ist

    Auch mit einer gebrochenen Hand kann der Steuerpflichtige Sorge tragen, dass die Einspruchsfrist gewahrt wird. Deshalb liegt hier kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor.


    Hintergrund


    Die Kindergeldkasse hob mit Bescheid v. 22.11.2019 die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind S der Klägerin ab Oktober 2017 auf. Außerdem forderte sie bereits gezahltes Kindergeld zurück, weil keine Studienbescheinigungen vorgelegt worden waren.


    Am 19.1.2020 übersandte die Klägerin die ausstehenden Studienbescheinigungen sowie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem Hinweis, dass sie aufgrund eines Arbeitsunfalls, bei dem sie sich die rechte Hand gebrochen hatte, nicht in der Lage war, fristgerecht Einspruch einzulegen. Das Finanzamt verwarf den Einspruch als unzulässig. Daraufhin erhob die Klägerin Klage beim Finanzgericht und beantragte die Aussetzung der Vollziehung des Kindergeldbescheids.


    Entscheidung


    Der Antrag hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht wies den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unbegründet zurück. Das Finanzamt hatte den Einspruch zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin hatte die Einspruchsfrist verpasst, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lagen nicht vor.


    Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Schuldmaßstab ist diejenige Sorgfalt, die den Betroffenen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles und seiner persönlichen Verhältnisse zugemutet werden kann.


    Vorliegend entschuldigte die Klägerin die Fristversäumnis mit einem Arbeitsunfall. Eine eigene Krankheit ist jedoch nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn dem Kranken wegen seines Zustands nicht zuzumuten war, die Frist durch eigenes Handeln oder durch das Handeln eines Dritten zu wahren. Dies bedeutet, dass die Krankheit plötzlich und in einer Schwere auftreten muss, die es dem Steuerpflichtigen auch nicht mehr zumutbar ermöglicht, einen Dritten mit der Interessenwahrnehmung zu beauftragen. Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Denn eine Fraktur der rechten Hand führt nicht dazu, dass die Einlegung des Einspruchs, ggf. unter Einschaltung eines Dritten, nicht mehr zuzumuten ist.