Mandanteninformation für Arbeitsrecht
Jahreswechsel 2021/2022
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1. Arbeitgeber von Altersvollrentnern müssen wieder Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen
Für Arbeitnehmende, die das Lebensalter für den Anspruch auf eine Regelaltersrente erreicht haben, besteht Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung. Der dennoch zu zahlende Arbeitgeberanteil war für 5 Jahre ausgesetzt. Zum 1.1.2022 kehrt dieser Arbeitgeberanteil zurück.
Hintergrund
Bezieher einer Vollrente wegen Alters sind nach Ablauf des Monats, in dem sie die Regelaltersgrenze erreicht haben, rentenversicherungsfrei. Unabhängig von einem Rentenbezug besteht vom selben Zeitpunkt an Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung. Aktuell beträgt die Regelaltersgrenze in der Rentenversicherung 65 Jahre und 10 Monate für die Personen, die im Kalenderjahr 1956 geboren sind.
So hat eine am 15.1.1956 geborene Person am 14.1.2021 das 65. Lebensjahr vollendet. Nach Ablauf des Monats November 2021 erreicht die Person die Regelaltersgrenze, also ab 1.12.2021. In einer weiter ausgeübten Beschäftigung ist die Person daher ab 1.12.2021 rentenversicherungsfrei, wenn sie eine Vollrente wegen Alters bezieht. In der Arbeitslosenversicherung besteht auf jeden Fall ab 1.12.2021 Versicherungsfreiheit, auch wenn die Person keine Rente bezieht.
Schon vor langer Zeit hat der Gesetzgeber trotz der bestehenden Versicherungsfreiheit eine Beitragspflicht für den Arbeitgeber der betreffenden Person in beiden Versicherungszweigen festgelegt. Die Beitragspflicht umfasst den normalerweise für Versicherungspflichtige zu entrichtenden Arbeitgeberanteil. Im Hinblick auf die Arbeitslosenversicherung ist diese Verpflichtung seit dem 1.1.2017 ausgesetzt.
Das gilt ab 1.1.2022
Die Aussetzung dieser Beitragspflicht ist allerdings bis zum 31.12.2021 befristet und entfällt damit zum kommenden Jahreswechsel. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber ab 1.1.2022 für diese Personen wieder den Arbeitgeberanteil zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten hat.
Dies gilt auch für laufende Beschäftigungen mit entsprechend betroffenen Personen.
Hinweis
Diese Änderung hat Auswirkungen auf den Beitragsgruppenschlüssel im Meldeverfahren. Ohne die Beitragspflicht war die 3. Stelle in dem Beitragsgruppenschlüssel mit einer 0 anzugeben. Die Ziffer für den Beitragsanteil des Arbeitsgebers ist die 2.
Diese Änderung im Beitragsgruppenschlüssel stellt einen meldepflichtigen Tatbestand dar. Entsprechend sind alle laufend beschäftigten Personen, die von dieser Änderung betroffen sind, zum 1.1.2022 mit einer Änderungsmeldung umzumelden. Durch die Änderungsabmeldung wird die eigentlich zum 31.12.2021 zu übermittelnde Jahresmeldung hinfällig.
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2. Gesetzlicher Mindestlohn steigt stufenweise auf 10,45 EUR
Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland steigt zum 1.1.2022, eine weitere Erhöhung folgt am 1.7.2022.
Das ändert sich ab 1.1.2022
Der gesetzliche Mindestlohn wird von derzeit 9,60 EUR auf 9,82 EUR angehoben. Zum 1.7.2022 folgt eine weitere Erhöhung auf 10,45 EUR.
Hinweis
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sieht hier allerdings vor, dass der Mindestlohn so schnell wie möglich auf 12 EUR angehoben werden soll. Anschließend soll wieder die Mindestlohnkommission über künftige Anhebungen entscheiden. Wann diese einmalige Anpassung kommt, ist noch unklar.
Solange gilt noch die vom Bundeskabinett am 28.10.2020 beschlossene Dritte Mindestlohnanpassungsverordnung.
Gleichzeitig soll der Minijob mit seiner bisher geltenden 450-EUR-Grenze an den Mindestlohn angepasst werden. Damit wird er künftig zum 520-EUR-Job.
Dezember 2021
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Keine qualifizierte elektronische Signatur - keine wirksame Befristung des Arbeitsvertrags
Unterzeichnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen befristeten Arbeitsvertrag in elektronischer Form, genügt dies nicht dem Erfordernis der Schriftform – zumindest nicht ohne qualifizierte Signatur.
Hintergrund
Der Arbeitnehmer hatte einen befristeten Arbeitsvertrag als Mechatroniker mit dem Arbeitgeber geschlossen. Der Vertrag wurde von den Parteien nicht durch eigenhändige Namensunterschrift auf dem Vertrag abgeschlossen, stattdessen verwendeten sie eine elektronische Signatur.
Entscheidung
Das Arbeitsgericht entschied, dass die hier verwendete Form der Signatur der Schriftformerfordernis nicht genügte. Um elektronische Dokumente rechtsverbindlich zu signieren, muss die Signatur qualifiziert sein. Dies erfordert eine Zertifizierung des genutzten Systems gem. Art. 30 der Verordnung (EU) v. 23.7.2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt.
Eine solche Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur bot das vorliegend verwendete System nicht. Daher war die Vereinbarung der Befristung wegen der fehlenden Schriftform unwirksam. Der Arbeitsvertrag galt damit als auf unbestimmte Zeit geschlossen.
November 2021
- Warum der Arbeitgeber Arbeitszeiten nicht ohne Weiteres ändern kann
Zwar können Arbeitgeber kraft Direktionsrecht die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten ändern, sie müssen dabei jedoch deren Interessen angemessen berücksichtigen. Insbesondere muss Rücksicht auf Haustie-re genommen werden, denn der Tierschutz zählt auch im Arbeitsrecht.
Hintergrund
Der Kläger war seit 2009 als Fahrer in Teilzeit 25 Stunden die Woche tätig. Von montags bis freitags liefert er üblicherweise in der Zeit von 8 Uhr bis 13 Uhr Essen an Kitas, Schulen, Kantinen und Einzelhaushalte aus. Der Arbeitgeber änderte im Jahr 2020 die Arbeitszeiten und verlangte, dass der Mitarbeiter ab sofort freitags 7 Stunden arbeiten sollte. Montags bis donnerstags sollte er dafür 20 Minuten weniger arbeiten.
Der Arbeitnehmer weigerte sich, die Neuverteilung der Arbeit zu akzeptieren. Er war darauf angewiesen, dass die Arbeitszeit vormittags liegt. Denn er hatte die familiären Verpflichtungen wie Haushalt, die Ver-sorgung des 84-jährigen Schwiegervaters sowie die Betreuung des gemeinsamen Hundes übernommen, da seine Frau Vollzeit arbeite und zudem noch pendeln müsse. Zudem suchte der Arbeitgeber für fast genau die alten Zeiten aktuell noch Fahrer. Deshalb war für den Kläger nicht ersichtlich, weshalb er unbedingt freitagnachmittags arbeiten sollte.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Das Arbeitsgericht entschied, dass der Arbeitgeber verpflichtet war, den Kläger von montags bis freitags weiter wie bisher in der Zeit von 8-13 Uhr zu beschäftigen. Zwar hat der Mitarbeiter keinen vertraglichen Anspruch auf die von ihm beanspruchten Arbeitszeiten. Jedoch war der Ar-beitgeber nicht berechtigt, den Kläger zu geänderten Arbeitszeiten einzusetzen. Damit überschritt der Arbeitgeber die Grenzen seines Direktionsrechts. Bei dessen Ausübung bezüglich der Neuverteilung der Arbeitszeiten hatte der Arbeitgeber nämlich sein Ermessen nicht richtig ausgeübt.
Die Weisung des Arbeitgebers zur Änderung der Arbeitszeiten durfte nur nach billigem Ermessen erfolgen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls in die Abwägung einzubeziehen, wozu auch die sozialen Le-bensverhältnisse sowie familiäre Pflichten zählen.
Die Interessenabwägung musste vor allem aus Gründen des Tierschutzes zu Gunsten des Klägers ausge-hen. Der Arbeitnehmer konnte seinen Hund nicht 7 Stunden plus Wegezeiten allein lassen. Hunde seien Rudeltiere, die bei längerfristigem Alleinsein aufgrund ihrer Urängste in Stress geraten. Außerdem müss-ten sie regelmäßig ihre Notdurft verrichten können.
- Wer Lohnabrechnungen fälscht, muss mit fristloser Kündigung rechnen
Legt ein Arbeitnehmer bei einer Kreditanfrage gefälschte Lohnabrechnungen vor, um über seine Bonität zu täuschen, darf der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung aussprechen.
Hintergrund
Der Arbeitnehmer war seit 2016 in einem Mobilfunkunternehmen als Kundenberater in einem Shop tätig. Seine monatliche Vergütung bestand aus einem Fixum und Provisionsbestandteilen. Seit 2017 erhielt er ein monatliches Fixum von 1.500 Euro brutto. Zusammen mit schwankenden Verkaufs- und Bestandspro-visionen erzielte er ein durchschnittliches Monatseinkommen i. H. v. rund 2.500 EUR brutto.
Als der Arbeitnehmer ein Wohngebäude kaufen und den Kauf finanzieren wollte, legte er Abrechnungen über die Monate Oktober bis Dezember 2017 vor, die ein monatliches Festgehalt i. H. v. 4.440 EUR brutto auswiesen. Ihm wurde daraufhin vorgeworfen, die Abrechnungen gefälscht und weitere falsche Angaben gemacht zu haben, um an die Kreditverträge zu kommen.
Daraufhin stellte der Arbeitgeber den Mitarbeiter mit sofortiger Wirkung frei und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos. Aus Sicht des Arbeitgebers war eine weitere Beschäftigung im Shop nicht länger mög-lich, da der Arbeitnehmer mit der Prüfung von persönlichen Kundendaten sowie der Verantwortung für hochpreisige Smartphones betraut war.
Der Arbeitnehmer wehrte sich mit seiner Klage gegen seine Kündigung.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die fristlose Kündigung des Klägers rechtmäßig war. Auch au-ßerdienstlich begangene Straftaten könnten das Arbeitsverhältnis belasten, wenn sie bei objektiver Betrachtung ernsthafte Zweifel an der Eignung des Arbeitnehmers für seine Tätigkeit begründen. Dies setzt voraus, dass das außerdienstliche Verhalten das Arbeitsverhältnis konkret berührt, insbesondere im Kontext der Arbeitsleistung oder aber im Bereich des personalen Vertrauens. Im vorliegenden Fall stellte der Betrug des Mitarbeiters dessen Eignung in Frage.
Für das Gericht stand zweifelsfrei fest, dass der Kläger bei den Kreditanfragen zur Immobilienfinanzierung falsche Angaben zu den Einkommensverhältnissen gemacht und mehrere gefälschte Lohnabrechnungen vorgelegt hatte, um den Kreditgeber bewusst über seine Bonität zu täuschen.
Dieses außerdienstliche Fehlverhalten stellt seine Eignung als Kundenberater nachhaltig in Frage. Zu sei-nen Arbeitsaufgaben gehörte, mit Kunden Vertragsgespräche zu führen, Vertragsmodalitäten zu erläutern, deren Identität und Daten korrekt zu erfassen und darüber Vertragsabschlüsse zu genieren. Dabei musste er sich seriös, rücksichtsvoll und gesetzeskonform verhalten. Genau diese Pflichten verletzte der Mitarbeiter bei seiner Kreditanfrage aus wirtschaftlichem Eigennutz grob.
Dem Arbeitnehmer fehlte es durch sein Fehlverhalten insbesondere nachhaltig an der persönlichen Eig-nung für seine derzeitige Tätigkeit.
Oktober 2021
- Nicht erteilte Datenschutzauskünfte: Arbeitgeber muss Schadensersatz leisten
Ein Auskunftsverlangen eines Arbeitnehmers sollte der Arbeitgeber sorgfältig erfüllen. Reagiert er ein halbes Jahr lang nicht und übersendet er dann nur Arbeitszeitnachweise, steht dem Arbeitnehmer wegen der unvollständigen Auskunft ein Schadensersatzanspruch zu.
Hintergrund
Eine bei einem ambulanten Pflegedienst beschäftigte Hauswirtschafterin erhielt am 30.1.2020 ihre Kündigung zum 29.2.2020. Sie machte noch am Tag des Kündigungszugangs unter Fristsetzung bis zum 13.2.2020 einen "Auskunftsanspruch nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Hinblick auf sämtliche bei Ihnen gespeicherten Daten, insbesondere die Daten der Arbeitszeiterfassung" geltend. Einen Tag später erhob sie zudem Kündigungsschutzklage. Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses im August 2020 beanspruchte sie wegen bis dahin immer noch nicht erteilter Auskunft auch die Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten immateriellen Schadensersatzanspruchs auf der Grundlage von Art. 15 DSGVO.
Nachdem der Arbeitgeber ein halbes Jahr lang auf das Auskunftsverlangen gar nicht reagiert hatte, übersandte er der Arbeitnehmerin im August 2020 ihre Arbeitszeitnachweise.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht erkannte in dem Verhalten des Arbeitgebers einen Verstoß gegen die DSGVO und entschied, dass der Klägerin Schadensersatz zustand. Es begründetet den Schadensersatzanspruch damit, dass sich der DSGVO nicht entnehmen lässt, dass der Anspruch einen qualifizierten Verstoß gegen die DSGVO voraussetzt. Für die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle oder die Ausnahme von Bagatellfällen gibt es keinen Anhaltspunkt. Der Schadensbegriff muss weit und auf eine Weise ausgelegt werden, die den Zielen der DSGVO in vollem Umfang entspricht.
In jedem Arbeitsverhältnis verarbeitet der Arbeitgeber zwangsläufig personenbezogene Daten seiner Mitarbeitenden. Jeder Arbeitgeber erhebt, speichert und verwendet mindestens die Kontaktdaten, die Bankdaten zwecks Überweisung des Entgelts sowie die Anwesenheits- und Fehlzeitendaten seiner Mitarbeitenden. In welchem Umfang und in welchen Kategorien eine solche Verwendung erfolgt, ist Arbeitnehmenden nicht ohne Weiteres ersichtlich. Ebenso könnten Arbeitnehmende nicht von sich aus erkennen, ob Daten auch Dritten zur Verfügung gestellt und für welche Dauer – ggf. auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – diese Daten gespeichert bleiben.
Der Arbeitgeber im vorliegenden Fall hatte im August 2020 lediglich Arbeitszeitnachweise übersandt, aber keine Informationen über weitere personenbezogene Daten der Arbeitnehmerin. Eine Kontrolle über diese Daten hatte die Arbeitnehmerin jedoch nicht, solange der Arbeitgeber seiner Auskunftspflicht nicht nachkommt. Der Beschäftigten fehlt dabei nicht nur die Kenntnis, welche Kategorien von Daten der Arbeitgeber formalisiert oder nicht formalisiert verarbeitet. Sie kann ebenso nicht beurteilen, wie lange solche Daten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter gespeichert bleiben und an welche Dritte der Arbeitgeber solche Daten ggf. weiterreicht.
Die Schwere des immateriellen Schadens, also das Gewicht der Beeinträchtigung, das die Arbeitnehmerin – subjektiv – wegen der bestehenden Unsicherheit und des Kontrollverlustes empfinden mag, war für die Begründung der Haftung nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO und damit für die Frage des "Ob" eines entstandenen Schadens nicht erheblich. Das Landesarbeitsgericht bezifferte den Schaden auf 1.000 EUR.
August 2021
- Tarifliche Freistellung ist nicht mit Urlaub vergleichbar
Hintergrund
Der Kläger ist als gewerblicher Mitarbeiter im Schichtsystem tätig. Auf sein Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie Anwendung. Dieser sieht vor, dass Mitarbeitende als Ausgleich für Schichtarbeit entweder das tarifliche Zusatzgeld beanspruchen oder dieses in Freistellungstage umwandeln können. Im vorliegenden Fall entschied sich der Kläger, eine solche bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen. Er beantragte für 3 Werktage die zusätzlichen tariflichen Freistellungstage, was der Arbeitgeber auch genehmigte. In dieser Zeit erkrankte der Kläger arbeitsunfähig.
Der Kläger forderte vom Arbeitgeber daraufhin eine Nachgewährung der Freistellungstage, notfalls die Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes. Er war der Ansicht, dass sein Anspruch auf Freistellungstage aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit noch nicht verbraucht war. Der Arbeitgeber war dagegen davon überzeugt, dass er mit der Freistellungsgewährung den Anspruch des Mitarbeiters erfüllt hatte. Denn es handelte sich um Freistellungstage und nicht um Urlaubstage.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht urteilte zugunsten des Arbeitgebers. Der Kläger hatte weder einen Zahlungs- noch einen erneuten Freistellungsanspruch als Ersatz für die krankheitsbedingt "verlorenen" Tage. Vielmehr hatte der Arbeitgeber den Anspruch auf tarifliche Freistellung mit der Gewährung der 3 freien Werktage voll und ganz erfüllt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird ein Anspruch auf Arbeitszeitausgleich bereits durch die Freistellung von der Arbeitspflicht erfüllt. Etwas anderes könne sich auch nicht aus der Bestimmung des § 9 BUrlG ergeben. Denn der im Manteltarifvertrag geregelte Freistellungsanspruch ist nicht mit einer Urlaubsgewährung vergleichbar.
§ 9 BUrlG ist weder unmittelbar noch analog anwendbar. Unmittelbar gilt die Vorschrift nur für den gesetzlich garantierten Erholungsurlaub. Eine dem § 9 BUrlG entsprechende Vorschrift zur Arbeitsunfähigkeit wurde im Tarifvertrag aber gerade nicht getroffen.
Damit trägt der Arbeitnehmer das Risiko der Arbeitsunfähigkeit während Freistellung und nicht der Arbeitgeber. Etwas anderes ergibt auch die Auslegung des Tarifvertrags nicht. Insbesondere konnte daraus nicht gefolgert werden, dass der Arbeitgeber nach Festlegung der Freistellungstage im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit das Risiko der Nutzungsmöglichkeit tragen soll.
Juli 2021
- Kurze Rückkehr zum geparkten Auto: Liegt trotzdem noch ein Wegeunfall vor?
Nur wenn eine Verletzung auf dem direkten Weg zur Arbeit passiert, besteht Schutz in der Wegeunfallversicherung. Gilt dies auch, wenn man nach wenigen Schritten kurz zum Auto zurückkehrt, um zu kontrollieren, ob das Auto abgeschlossen ist?
Hintergrund
Die Klägerin fuhr morgens mit ihrem Auto zur Arbeit und stellte den Wagen auf dem Firmenparkplatz ihres Arbeitgebers ab. Sie stieg aus, um sich auf direktem Weg zu ihrer Arbeitsstätte zu begeben. Nach wenigen Schritten machte sie kehrt, weil sie bemerkt hatte, dass sie vergessen hatte zu überprüfen, ob sie das Fahrzeug tatsächlich abgeschlossen hat. Beim Umdrehen stolperte sie, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Dabei erlitt sie ein Trauma an der linken Schulter.
Die zuständige Berufsgenossenschaft verweigerte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, da die Verletzung nicht mit der betrieblichen Tätigkeit in Zusammenhang stand. Mit der Drehung in Richtung ihres Fahrzeugs verließ die Klägerin den unter Versicherungsschutz stehenden direkten Weg zur Arbeitsstätte. Sie befand sich auf einem aus eigenwirtschaftlichen Gründen gewählten Abweg.
Das Sozialgericht schloss sich dieser Begründung an und wies die Klage ab.
Entscheidung
Das Bayerische Landessozialgericht entschied dagegen zugunsten der Klägerin, dass sie den versicherten Weg durch das Umdrehen in Richtung ihres Pkw lediglich in einer den Versicherungsschutz unberührt lassenden, geringfügigen Weise unterbrochen hat.
Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses hatte die Klägerin den Ort ihrer Tätigkeit noch nicht erreicht. Deshalb stand sie noch unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung.
Der Versicherungsschutz wird nicht schon dadurch begründet, dass ein Versicherter auf dem unmittelbaren Weg zwischen seiner Wohnung und dem Ort der versicherten Tätigkeit einen Unfall erleidet. Versicherungsschutz besteht nur dann, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit zu erreichen.
Die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges muss – zumindest auch – darauf ausgerichtet sein, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben. Das Handeln muss auf das Zurücklegen des direkten Weges ("unmittelbar") zu oder von der Arbeitsstätte gerichtet sein.
Im vorliegenden Fall befand sich die Klägerin bis zu dem von ihr eingeleiteten Richtungswechsel auf dem direkten, d.h. kürzesten Weg zu ihrer Arbeitsstätte. Das Umdrehen der Klägerin führte hat nicht zum Entfallen des Versicherungsschutzes. Es handelte sich dabei um eine nur geringfügige und deshalb den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unberührt lassende Unterbrechung des unmittelbaren Weges zur Arbeitsstätte.
Geringfügig ist eine Unterbrechung, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit anzusehen ist. Eine solche Unterbrechung ist davongekennzeichnet, dass sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf das ursprünglich geplante Ziel führe, weil sie ohne nennenswerte Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt werden kann. Das sah das Landessozialgericht hier als gegeben an.
Mai 2021
- An- und Ablegen von Uniform und Schutzausrüstung ist keine Arbeitszeit
Es liegt keine zu vergütende Arbeitszeit vor, wenn der Arbeitnehmer sich im privaten Bereich umkleidet und rüstet und nicht die dienstlich zur Verfügung gestellten Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeiten nutzt.
Hintergrund
Die Kläger sind als angestellte Wachpolizisten im Zentralen Objektschutz tätig. Ihren Dienst müssen sie in angelegter Uniform mit dem Aufdruck POLIZEI sowie mit den persönlichen Ausrüstungsgegenständen und streifenfertiger Dienstwaffe antreten.
Den Wachpolizisten ist es hierbei freigestellt, ob sie den Weg zur und von der Arbeit in Uniform zurücklegen und ob sie das in einer Dienststelle zur Verfügung gestellte Waffenschließfach nutzen. Ferner haben sie die Möglichkeit, einen Spind zu nutzen.
Einer der Kläger bewahrt die Dienstwaffe bei sich zu Hause auf und nimmt dort auch das Umkleiden und Rüsten vor. Der andere Kläger nutzt das dienstliche Waffenschließfach, was beim Zurücklegen des Wegs von seiner Wohnung zum Einsatzort und zurück einen Umweg bedingt.
Die Kläger fordern die Feststellung der Vergütungspflicht von Umkleide-, Rüst- und damit in Zusammenhang stehenden Wegezeiten.
Das Landesarbeitsgericht hatte den Klagen zum Teil stattgegeben und Vergütung für die Umkleidezeiten zugesprochen. Die auf vollständige Vergütung der Wegezeiten gerichteten Klagen wurden dagegen im Wesentlichen abgewiesen. Nur soweit der eine Kläger einen Umweg zurückzulegen hatte, stellte das Landesarbeitsgericht die Vergütungspflicht fest.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass das Umkleiden und Rüsten mit einer besonders auffälligen Dienstkleidung, persönlichen Schutzausrüstung und Dienstwaffe keine zu vergütende Arbeitszeit ist, wenn der Arbeitnehmer eine dienstlich zur Verfügung gestellte Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeit nicht nutzt, sondern für die Verrichtung dieser Tätigkeiten seinen privaten Wohnbereich wählt.
Ebenfalls nicht vergütungspflichtig ist die für das Zurücklegen des Wegs zur Arbeit von der Wohnung zum Einsatzort und zurück aufgewandte Zeit, denn der Arbeitsweg zählt zur privaten Lebensführung.
Dagegen ist die für einen Umweg zum Aufsuchen des dienstlichen Waffenschließfachs erforderliche Zeit zu vergüten, denn es handelt sich um eine fremdnützige Zusammenhangstätigkeit.
- Covid-19-Hygienevorschriften missachtet: Beschäftigungsverbot rechtmäßig
Widersetzt sich eine Leiterin einer Seniorenpflegeeinrichtung beharrlich den Anordnungen des Gesundheitsamtes zur Bekämpfung eines akuten Covid-19-Ausbruchs, darf gegen sie ein Beschäftigungsverbot erlassen werden.
Hintergrund
Bei einem Ausbruch von Covid-19 in einer Seniorenresidenz kam es im Dezember 2020 zu 20 Infektionen bei Bewohnern und 10 Infektionen bei Mitarbeitern der Einrichtung. 7 Bewohner verstarben. Das zuständige Gesundheitsamt stellte bei mehreren Gelegenheiten fest, dass die als Einrichtungsleiterin und Pflegefachkraft tätige Antragstellerin trotz anders lautender Anordnungen wiederholt nicht in Dienstkleidung angetroffen wurde.
Zudem hatte sie mehrfach während ihrer Schicht zwischen den Wohnbereichen für erkrankte und nicht erkrankte Bewohner gewechselt, obwohl eine Anordnung zur strikten Trennung der Wohnbereiche erlassen und die strikte Zuordnung des Pflegepersonals zu jeweils einem Bereich angeordnet war.
Daraufhin wurde der Einrichtung mit für sofort vollziehbar erklärter Ordnungsverfügung untersagt, die Antragstellerin weiter zu beschäftigen. Dagegen legte die Antragstellerin Eilantrag ein.
Entscheidung
Das Oberverwaltungsgericht hält das Beschäftigungsverbot für die Antragstellerin voraussichtlich als rechtmäßig, weil diese ihre Vorbildfunktion als Leiterin der Einrichtung, der eine besondere Bedeutung zukommt, nicht wahrgenommen hatte. Sie setzte ihre eigenen Regeln über die Anordnungen des Gesundheitsamtes.
So wurde sie bei wiederholten Kontrollen durch das Gesundheitsamt selbst noch nach Erlass des Beschäftigungsverbotes in privater Kleidung im Dienst angetroffen. Auch den mehrmaligen Wechsel zwischen den strikt getrennten Wohnbereichen während ihrer Schicht hielt sie für notwendig und nicht gefahrbringend.
Angesichts der Möglichkeit eines erneuten Ausbruchs und der gegenwärtigen Verbreitung hochansteckender Mutationen des Virus fällt auch eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung zu Gunsten des öffentlichen Interesses an der strikten Einhaltung des hygienischen Standards durch das Pflegepersonal aus.
- Keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung: Hintergrunddienst ist Rufbereitschaft
Hintergrunddienste sind als Rufbereitschaften und nicht als höher vergütete Bereitschaftsdienste zu werten. Das gilt auch dann, wenn es in den Hintergrunddiensten zu vermehrten Arbeitseinsätzen kommt.
Hintergrund
Der Kläger war als Oberarzt beschäftigt und leistete im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit sog. Hintergrunddienste. Während dieser Zeit ist er verpflichtet, telefonisch erreichbar zu sein. Weitere ausdrückliche Vorgaben hinsichtlich des Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hat, machte der Arbeitgeber nicht.
Im Rahmen des Hintergrunddienstes kann es sowohl zu Einsätzen des Klägers im Klinikum der Beklagten als auch zu rein telefonischen Inanspruchnahmen kommen, wobei letztere überwiegen. Der Arbeitgeber vergütet die Hintergrunddienste als Rufbereitschaft.
Der Kläger war der Ansicht, dass die Hintergrunddienste aufgrund der mit ihnen verbundenen Beschränkungen sowie der Anzahl und des zeitlichen Umfangs der tatsächlichen Inanspruchnahmen Bereitschaftsdienst und als solcher zu vergüten sind. Das Landesarbeitsgericht folgte der Auffassung des Klägers und sprach ihm für den Zeitraum August 2017 bis Juni 2018 eine Vergütungsdifferenz von knapp 40.000 EUR brutto zu.
Entscheidung
Die Revision des Arbeitgebers beim Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg. Dieses entschied, dass es sich bei dem vom Kläger geleisteten Hintergrunddienst um Rufbereitschaft handelt. Ob ein vom Arbeitgeber angeordneter (Hintergrund-)Dienst im vergütungsrechtlichen Sinn Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft ist, richtet sich ausschließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeitszeitrichtlinie. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterscheiden sich dadurch, dass der Arbeitnehmer sich bei der Rufbereitschaft nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten muss, sondern seinen Aufenthaltsort frei wählen kann.
Maßgeblich ist also der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung. Dabei ist der Arbeitnehmer allerdings auch bei der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Er darf sich entsprechend dem Zweck der Rufbereitschaft nur so weit von dem Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen kann.
Das ist bei dem von der Beklagten angeordneten Hintergrunddienst noch der Fall. Mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, ist keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Zeitvorgaben für die Aufnahme der Arbeit im Übrigen bestehen nicht. Dass u.U. nach einem Anruf zeitnah die Arbeit in der Klinik fortgesetzt werden muss, steht im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.
- Kürzung der betrieblichen Altersvorsorge durch Teilzeittätigkeit möglich
Es ist zulässig, Zeiten der Teilzeitbeschäftigung in der betrieblichen Altersversorgung nur anteilig zu berücksichtigt. Eine Benachteiligung liegt nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht vor.
Hintergrund
Die Klägerin war fast 40 Jahre im Unternehmen beschäftigt. Auf Grundlage einer Konzernbetriebsvereinbarung ("Leistungsordnung") erhält die ehemalige Mitarbeiterin ein betriebliches Altersruhegeld. Diese Versorgungsregelung sieht für die Berechnung der Höhe der betrieblichen Altersvorsorge vor, dass die Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung lediglich anteilig berücksichtigt werden. Weiter enthält sie die Regelung, dass die Höchstgrenze eines Altersruhegelds entsprechend dem Teilzeitgrad während des Arbeitsverhältnisses gekürzt wird.
Die Versorgungsordnung legt 1.375 Euro monatlich als absolute Höchstgrenze für das Altersruhegeld fest, wenn das Einkommen bei Eintritt des Versorgungsfalls die maßgebende Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigt.
Während des Arbeitsverhältnisses hatte die Klägerin überwiegend in Teilzeit gearbeitet. In den letzten 3 Jahren ihres Arbeitsverhältnisses lag ihr Einkommen jedoch über der Beitragsbemessungsgrenze. Der Arbeitgeber ermittelte einen Teilzeitfaktor von 0,9053. Daraufhin erhielt die Klägerin statt des höchstmöglichen betrieblichen Altersruhegeldes von 1.375 Euro, ein gekürztes Altersruhegeld i. H. v. 1.224,80 Euro monatlich.
Die Klägerin war der Ansicht, die Kürzung der Höchstgrenze bei Teilzeitarbeit entspreche nicht den Vorgaben der Versorgungsordnung bzw. stelle einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen Teilzeittätigkeit dar.
Entscheidung
Die Klage scheiterte vor dem Bundesarbeitsgericht. Dieses entschied, dass die in der Leistungsordnung vorgesehene Berechnung des Altersruhegelds unter Berücksichtigung eines Teilzeitgrads wirksam ist. In dem Umstand, dass die über fast 40 Jahre erbrachte Arbeitsleistung der Klägerin nicht in 34,4 Vollzeitarbeitsjahre umgerechnet wurde, keine Diskriminierung wegen ihrer Teilzeitarbeit erkennen.
Die Klägerin war nach Ansicht der Richter nicht mit einem Arbeitnehmer, der 34,4 Jahre in Vollzeit gearbeitet und dann in den Altersruhestand getreten ist, vergleichbar. Eine Benachteiligung wegen ihrer Teilzeitarbeit ist nach Meinung des Gerichts auch nicht dadurch erfolgt, dass der Arbeitgeber den entsprechend der Leistungsordnung ermittelten Teilzeitfaktor auch auf die Versorgungshöchstgrenze angewandt habe. Das Gericht stellte fest, dass das Altersruhegeld der ehemaligen Beschäftigten im Umfang der von ihr erbrachten Arbeitsleistung im Verhältnis zur Arbeitsleistung eines gleich lange im Unternehmen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entsprach
April 2021
- Austritt aus der Kirche: Wann ist eine fristlose Kündigung gerechtfertigt?
Darf einem Koch, der in einer evangelischen Kindertagesstätte arbeitet, nach seinem Kirchenaustritt fristlos gekündigt werden? Das Landesarbeitsgericht Stuttgart hat dazu ein eindeutiges Urteil gefällt.
Hintergrund
Der Arbeitgeber, die Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart, betreibt 51 Kindertageseinrichtungen mit rund 1.900 Kindern. Der Arbeitnehmer war als Koch in einer evangelischen Kita tätig. Sein Kontakt mit den Kindern beschränkte sich auf die Ausgabe von Getränken. Mit dem pädagogischen Personal in der Kita hatte er nur alle 2 Wochen in einer Teamsitzung Kontakt, wo es um rein organisatorische Probleme ging. Im Juni 2019 erklärte er seinen Austritt aus der evangelischen Landeskirche. Nachdem der Arbeitgeber im August 2019 davon erfahren hatte, kündigte er das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos.
Der Arbeitgeber argumentierte, dass sein Handeln und sein Verständnis vom besonderen Bild der christlichen Dienstgemeinschaft geprägt ist. Mit dem Kirchenaustritt verstieß der Mitarbeiter schwerwiegend gegen seine vertraglichen Loyalitätspflichten.
Gegen die Kündigung wehrte sich der Mitarbeiter mit einer Kündigungsschutzklage.
Entscheidung
Die Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters hatte Erfolg. Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die Kündigung des Mitarbeiters unwirksam war und die evangelische Kirchengemeinde ihn weiterbeschäftigen muss. Das Landesarbeitsgericht Stuttgart schloss sich der Begründung der Vorinstanz an. Der Mitarbeiter hat aus Sicht des Gerichts seine Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber durch den Kirchenaustritt nicht verletzt. Die Loyalitätserwartung des Arbeitgebers, dass der Mitarbeiter nicht aus der evangelischen Kirche austritt, stellt keine wesentliche und berechtigte Anforderung an seine persönliche Eignung dar.
- Bereitschaftszeit bei der Feuerwehr: Ist das Arbeitszeit und wie muss sie bezahlt werden?
Ist ein Arbeitnehmer während einer Bereitschaftszeit durch vorgegebene Einschränkungen ganz erheblich an der Gestaltung seiner Freizeit gehindert, kann diese Bereitschaftszeit als Arbeitszeit gelten. Die Vergütung für die Bereitschaftszeit kann abweichend geregelt werden.
Hintergrund
Ein Feuerwehrmann musste sich nach den Vorgaben seines Arbeitgebers während seines Rufbereitschaftsdienstes regelmäßig für einen möglichen Einsatz bereithalten. Den Ort konnte er frei wählen kann. Allerdings musste er im Ernstfall innerhalb von 20 Minuten in Arbeitskleidung mit seinem Einsatzfahrzeug an einem bestimmten Ort sein können. Der Feuerwehrmann möchte, dass diese Zeit, in der er erreichbar und sich bereithalten muss, als Arbeitszeit anerkannt und damit entsprechend vergütet wird. Der Arbeitgeber lehnte dies ab. Das Verwaltungsgericht legte dem EuGH die Sache vor.
Entscheidung
Der EuGH entschied, dass auch Bereitschaftszeiten, bei denen der Arbeitnehmer Rufbereitschaft außerhalb seines Arbeitsplatzes hat, als Arbeitszeit eingestuft werden können. Dies ist dann der Fall, wenn dem Arbeitnehmer Einschränkungen für die Bereitschaftszeit vorgegeben sind, die ihn "objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen", diese Zeit, in der er sich bereit hält, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen.
Wenn es keine solche Einschränkungen gibt, soll umgekehrt nur die Zeit als "Arbeitszeit" anzusehen sein, die mit der ggf. tatsächlich während solcher Bereitschaftszeiten erbrachten Arbeitsleistung verbunden ist. Eine Einstufung der Bereitschaftszeiten als Ruhezeit darf aber nicht dazu führen, dass Arbeitgeber sie so lang oder so häufig einführen, dass sie eine Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit der Arbeitnehmer darstellen.
Bei der Beurteilung dürften nur solche Einschränkungen berücksichtigt werden, die dem Arbeitnehmer durch nationale Rechtsvorschriften, durch einen Tarifvertrag oder durch seinen Arbeitgeber auferlegt werden. Unerheblich sind dagegen organisatorische Schwierigkeiten, die eine Bereitschaftszeit infolge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers für ihn mit sich bringen kann. Das gilt z.B. für ein Gebiet, das ein Arbeitnehmer praktisch nicht verlassen kann und das kaum Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten bietet.
Vorliegend muss nun das Verwaltungsgericht in der Sache urteilen. Kriterien, die das Gericht bei der Beurteilung zu berücksichtigen haben, sind die konkreten Fristen, innerhalb derer der Arbeitnehmer seine Arbeit aufnehmen muss. Die in der Reaktionszeit von 20 Minuten liegt eine Beeinträchtigung der Ruhezeit des Feuerwehrmannes.
Als weiteres Kriterium muss die Häufigkeit, mit der Einsätze zu erwarten sind, berücksichtigt werden. Hat der Arbeitnehmer grundsätzlich viele Einsätze zu erwarten, spricht dies für eine Einordnung als Arbeitszeit. In solchen Fällen hat der Arbeitnehmer keinen Spielraum, seine Zeit als Freizeit zu planen.
Die Frage nach der Vergütung von Arbeitnehmern für Bereitschaftszeiten hängt nicht von der Einstufung als "Arbeitszeit" ab. Deshalb kann es eine unterschiedliche Vergütung geben für Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird.
- Streit unter Kollegen eskaliert: Fristlose Kündigung rechtmäßig
Wer seinen Kollegen auf der Toilette einsperrt, darf fristlos gekündigt werden. Das ist auch rechtmäßig, wie jetzt ein Arbeitsgericht entschieden hat.
Hintergrund
Der Kläger war als Lagerist bei dem Arbeitgeber beschäftigt. Mit seinem Kollegen im Lager geriet er öfters in Streit. Dieser eskalierte schließlich so weit, dass der Kläger den Kollegen auf der Toilette einsperrte. Er ließ den Kollegen so lange auf der Toilette eingesperrt, bis dieser die Toilettentür eintrat, um sich zu befreien. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber dem Kläger fristlos. Dagegen wehrt sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage.
Entscheidung
Die Kündigungsschutzklage war nicht erfolgreich. Das Arbeitsgericht entschied, dass die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtmäßig erfolgte, da wichtige Kündigungsgründe vorlagen.
Bereits dadurch, dass der Kläger seinen Kollegen vorsätzlich auf der Toilette einschloss, hatte er eine erhebliche Pflichtverletzung begangen. Denn indem er dem Kollegen den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm, hatte er ihn zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette beraubt. Durch das Verhalten des Klägers wurde zudem Eigentum des Arbeitgebers beschädigt.
Eine vorherige Abmahnung war nach Ansicht der Richter im vorliegenden Fall entbehrlich. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist war dem Arbeitgeber nicht zuzumuten.
März 2021
- Anordnung von Corona-Schnelltests: Darf der Arbeitgeber das?
Um Beschäftigte vor einer Infektion zu schützen, darf der Arbeitgeber Corona-Schnelltests anordnen. Dies ist von seiner Pflicht zu Schutzmaßnahmen im Betrieb umfasst.
Hintergrund
Ein Baustoffunternehmen hatte vor Weihnachten mit dem Betriebsrat verpflichtende und kostenlose Corona-Schnelltests (PCR-Test) für alle Mitarbeiter festgelegt, die nach den Weihnachtsferien an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten. Nachdem sich mehrere Arbeitnehmer nach Ferienende geweigert hatten, den Test durchzuführen, verweigerte der Arbeitgeber den Zutritt zum Werksgelände.
Einer der Arbeitnehmer klagte daraufhin im Eilverfahren vor dem Arbeitsgericht und verlangte die Fortsetzung seiner Arbeitstätigkeit, ohne den entsprechenden Test durchführen zu müssen. Insbesondere hielt er den PCR-Test für unverhältnismäßig, weil er einen invasiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt.
Entscheidung
Das Eilverfahren hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führten die Richter aus: Arbeitgeber haben während der Coronapandemie die Pflicht zu Schutzmaßnahmen im Betrieb, um Beschäftigte vor einer Infektion zu schützen. Um die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen, müssen Arbeitgeber aktuell vor allem einen effektiven Infektionsschutz vor dem Coronavirus im Betrieb gewährleisten.
In Betracht kommen insbesondere Hygienemaßnahmen, Abstand, Maskenpflicht oder die Anordnung von Coronatests. Welche Schutzmaßnahmen der Arbeitgeber im Einzelnen ergreifen darf, richtet sich nach der aktuellen Gefährdungslage vor Ort.
Die Richter des Arbeitsgerichts wiesen den Antrag jedoch schon deshalb zurück, weil der Arbeitnehmer die Eilbedürftigkeit einer sofortigen Entscheidung nicht belegt hatte. Ein besonderes, eiliges Beschäftigungsinteresse war nicht erkennbar. Die Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus.
- Benachteiligung von Frauen: Wann ein Sozialplan unwirksam ist
Zahlt der Arbeitgeber aufgrund eines Sozialplans auf eine Abfindung einen Kinderzuschlag, darf dieser nicht ausschließlich vom steuerlichen Kinderfreibetrag und Eintragungen bei den Lohnsteuerabzugsmerkmalen abhängig gemacht werden. Da Lohnsteuerklasse V noch immer überwiegend von Frauen gewählt wird, deren Ehepartner einen höheren Arbeitsverdienst erzielen, diskriminiert eine solche Regelung Frauen mittelbar.
Hintergrund
In einem Sozialplan gab es die Regelung, dass Beschäftigte pro Kind eine um 5.000 EUR höhere Abfindung erhalten, wenn dieses "auf der Lohnsteuerkarte eingetragen" ist. Damit sollte eine Unterhaltspflicht nachgewiesen werden. Eine Arbeitnehmerin wehrte sich dagegen, dass sie keine Kinderzuschläge zur Abfindung erhalten sollte. Sie war Mutter von 2 unterhaltsberechtigten Kindern. Sie hatte jedoch die Lohnsteuerklasse V gewählt, sodass kein Kinderfreibetrag bei ihr berücksichtigt bzw. eingetragen wurde.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht gab der Arbeitnehmerin Recht und entschied, dass der Arbeitgeber ihr als Mutter von 2 kleinen Kindern die Kinderzuschläge zur Abfindung zahlen muss.
Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Formulierung so zu verstehen ist, dass bei den Eltern ein Kinderfreibetrag als Lohnsteuerabzugsmerkmal (ELStAM) gespeichert sein muss – denn die Lohnsteuerkarte gibt es schon seit 2014 nicht mehr. Bei allen Arbeitnehmern, die Lohnsteuerklasse V gewählt haben, kann ein Kinderfreibetrag nach dem Einkommenssteuergesetz als Lohnsteuerabzugsmerkmal nicht berücksichtigt werden.
Nach der Regelung des Sozialplans sollte jedoch ausschließlich über den Freibetrag nachgewiesen werden können, dass eine Unterhaltspflicht für ein Kind bestand. Damit waren Eltern mit der Lohnsteuerklasse V von einem Abfindungszuschlag generell ausgeschlossen.
Diese Sozialplanregelung diskriminiert Frauen mittelbar und war deshalb unwirksam. Denn die Lohnsteuerklasse V wird noch immer überwiegend von Frauen gewählt, deren Ehepartner einen höheren Arbeitsverdienst erzielen.
Die Arbeitnehmerin hatte also wegen der mittelbaren Benachteiligung durch den Sozialplan denselben Anspruch wie die übrigen Beschäftigten mit unterhaltsberechtigten Kindern.
- Gleiche Tätigkeit, schlechtere Bezahlung für Frauen: Arbeitgeber muss Diskriminierung widerlegen
Wird eine Frau im Unternehmen für die gleiche Tätigkeit schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, wird eine Diskriminierung vermutet. Der Arbeitgeber muss deshalb nachweisen, dass keine Geschlechterdiskriminierung vorliegt, sondern es einen anderen Grund für die unterschiedliche Bezahlung gibt.
Hintergrund
Die Arbeitnehmerin, die als Abteilungsleiterin außertariflich vergütet wird, verlangte nach dem Entgelttransparenzgesetz Auskunft über das Gehalt ihrer männlichen Kollegen. Der Arbeitgeber teilte ihr daraufhin das Vergleichsentgelt der im Unternehmen beschäftigten männlichen Abteilungsleiter mit. Diese Auskunft wurde entsprechend der gesetzlichen Vorgaben als "auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median" des durchschnittlichen monatlichen übertariflichen Grundentgelts sowie der übertariflichen Zulage als sog. Median-Entgelte angegeben.
Im Ergebnis lag das angegebene Vergleichsentgelt der Männer über dem Entgelt der Abteilungsleiterin. Das Durchschnittsgehalt vergleichbar beschäftigter männlicher Abteilungsleiter war um 8 % höher als das der Abteilungsleiterinnen. Die Arbeitnehmerin klagte deshalb auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt, der ihr gezahlten Zulage und den ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelten.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht folgte den Argumenten der Arbeitnehmerin und stellte klar, dass der Umstand, dass das Entgelt der Abteilungsleiterin geringer ausfällt als das vom Arbeitgeber mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson, die Vermutung begründet, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist. Die Auskunft durch den Arbeitgeber mit der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt genügte als Indiz für eine geschlechtsbezogene Diskriminierung.
Nach den Vorgaben des Entgelttransparenzgesetzes liegt in der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt durch einen Arbeitgeber immer zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson. Schließlich erhalte immer entweder ein konkreter oder ein hypothetischer Beschäftigter des anderen Geschlechts dieses Entgelt für gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeit. Die Abteilungsleiterin hatte somit eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes erfahren, da ihr Entgelt geringer war als das einer maßgeblichen männlichen Vergleichsperson.
Folglich musste der Arbeitgeber beweisen, dass die Entgeltbenachteiligung nicht wegen des Geschlechts erfolgte.
Februar 2021
- Warum ein Arbeitgeber an eine Versorgungszusage gebunden bleibt
Der Arbeitgeber bleibt an Versorgungszusage gebunden. Auch die Änderung von bilanzrechtlichen Bestimmungen rechtfertigt nicht die Anpassung von Versorgungsregelungen, denn eine Störung der Geschäftsgrundlage liegt in diesem Fall nicht vor.
Hintergrund
Eine 87-jährige Witwe verlangte vom ehemaligen Arbeitgeber ihres verstorbenen Ehemannes die Zahlung einer entsprechend der Tarifgehaltserhöhungen angepassten Betriebsrente. Über Jahre hatte sie eine Witwenrente bezogen, die der Arbeitgeber - wie schon zuvor die Betriebsrente des verstorbenen Ehemannes - regelmäßig gemäß der Versorgungszusage an die Gehaltsentwicklung angepasst hatte.
Diese Versorgungszusage, die auch eine Hinterbliebenenversorgung umfasst, wurde dem Ehemann 1976 erteilt und enthält eine Anpassungsregelung. Danach ändern sich die Versorgungsbezüge ebenso wie die Entwicklung der höchsten Tarifgruppe für kaufmännische Angestellte der pfälzischen Eisen- und Metallindustrie.
Im Jahr 2016 erklärte der Arbeitgeber, diese tariflichen Anpassungen nicht mehr länger vorzunehmen, sondern nur Erhöhungen nach § 16 BetrAVG. Dabei stützte er sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB. Als Grund nannte er, dass sich die Rückstellungen für Betriebsrenten in der Handelsbilanz - auch für die der Witwe - nach Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes 2010 (BilMoG) aufgrund gestiegener Barwerte, für ihn erheblich erhöht hätten. Ab Juli 2016 gab der Arbeitgeber dementsprechend Tariferhöhungen nicht mehr weiter.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht gab der Witwe Recht und entschied, dass keine Störung der Geschäftsgrundlage vorlag. Zwar ist es grundsätzlich möglich, die Anpassung von Versorgungsregelungen auf die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB zu stützen. Die Argumentation des Arbeitgebers konnte jedoch im vorliegenden Fall die obersten Richter nicht überzeugen.
Geschäftsgrundlage sind die gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien bei Vertragsschluss über gewisse vorhandene oder künftige Umstände, die aber nicht Vertragsinhalt werden. Es kann auch die Vorstellung von nur einer Partei ausreichen, wenn sie für die andere Partei erkennbar war und nicht von ihr beanstandet wurde.
Vorliegend berief sich der Arbeitgeber aber gar nicht auf solche Vorstellungen, sondern stützte die vermeintliche Verteuerung der Witwenrente auf Umstände, die unverändert Inhalt der Versorgungszusage sind.
Der Anstieg der bilanziellen Rückstellungen aufgrund der angeblich wegen der Änderung des Bilanzrechts gestiegenen Barwerte, erfüllt aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts nicht die Voraussetzungen einer Störung der Geschäftsgrundlage. Rückstellungen haben zwar Auswirkungen auf den bilanziellen Gewinn bzw. Verlust eines Unternehmens. Allerdings berechtigt ein schlechterer wirtschaftlicher Verlauf des Geschäftsjahres den Arbeitgeber nicht zum Widerruf von laufenden Betriebsrenten und somit auch nicht zur Änderung einer Anpassungsregelung. Denn nicht einmal eine wirtschaftliche Notlage kann nach den gesetzlichen Wertungen des Betriebsrentengesetzes einen Widerruf von Versorgungszusagen begründen. In so einem Fall eine Störung der Geschäftsgrundlage anzunehmen, widerspräche der gesetzlichen Risikoverteilung.
Dezember 2020
- Dauereinsatz von Leiharbeitnehmern: Kündigung von Stammarbeitnehmern kann unwirksam sein
Kann ein Arbeitgeber Stammarbeitnehmer auf Arbeitsplätzen von Leiharbeitnehmern einsetzen, sind betriebsbedingte Kündigungen der Stammarbeitnehmer nicht erlaubt.
Hintergrund
Der Arbeitgeber, ein Automobilzulieferer, beschäftigt neben 106 Arbeitnehmern auch 6 Leiharbeitnehmer. Diese setzte der Arbeitgeber fortlaufend - mit wenigen Unterbrechungen wie zum Jahresende oder während der Werksferien - im Betrieb ein. Nachdem bei ihm ein Personalüberhang entstanden war, da sein Auftraggeber das Volumen seiner Autoproduktion reduzierte, kündigte der Arbeitgeber mehreren Stammarbeitnehmern betriebsbedingt.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die betriebsbedingten Kündigungen unwirksam waren. Die Arbeitnehmer hätten auf den Arbeitsplätzen der Leiharbeitnehmer weiterbeschäftigt werden können. Diese waren als freie Arbeitsplätze anzusehen.
Dies gilt zwar nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer als Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf beschäftigt. Das Landesarbeitsgericht verneinte vorliegend aber, dass der Arbeitgeber die Leiharbeitnehmer im Unternehmen als eine solche Vertretungsreserve beschäftigte. Fortlaufend beschäftigte Leiharbeitnehmer wurden nicht als Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf im Unternehmen eingesetzt, sondern für ein ständig vorhandenes Arbeitsvolumen. Wenn immer wieder unterschiedliche Arbeitnehmer in einem absehbaren Umfang ausfallen, kann man nicht von einem schwankenden, sondern muss von einem ständig vorhandenen (Sockel-)Arbeitsvolumen sprechen. Der Sachgrund einer Vertretung liegt aber nicht vor, wenn der Arbeitgeber mit der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers einen dauerhaften Bedarf abdecken will.